Ein Tag wie ein Leben
wollte er wissen. Ich hatte Noah am Tag zuvor schon von
dieser Idee erzählt.
»Ja, und ich glaube, sie hat sich gefragt, wieso sie nicht selbst auf
diesen Gedanken gekommen ist.«
»Sie hat im Moment so viel anderes im Kopf.«
»Das stimmt. Gleich nach dem Frühstück ist sie wieder mit Anna
losgezogen.«
»Nicht zu bremsen, was?«
»Das kannst du laut sagen. Sie hat ihre Tochter an der Hand genommen, und seither habe ich von den beiden nichts mehr gehört.«
»Bei Kates Hochzeit war Allie genauso.«
Kate war Janes jüngere Schwester. Ihre Hochzeit hatten wir ebenfalls in Noahs Haus gefeiert, und Jane war Brautführerin gewesen.
»Ich wette, Jane hat sich auch schon jede Menge Hochzeitskleider
angeschaut.«
Ich musterte ihn erstaunt.
»Das hat Allie nämlich am meisten Spaß gemacht, glaube ich«, fuhr
Noah fort. »Sie und Kate sind sogar nach Raleigh gefahren und haben zwei Tage lang nach dem perfekten Kleid gefahndet. Kate hat
hunderte anprobiert, und als Allie nach Hause kam, hat sie mir jedes
einzelne genau beschrieben. Spitzenbesatz hier, Puffärmel da, Seide
und Taft, gefasste Taille… Stundenlang hat sie über nichts anderes
geredet, sie hat so geleuchtet vor Begeisterung, dass ich gar nicht
richtig gehört habe, was sie sagt.«
»Ich glaube, Jane und Anna haben gar nicht genug Zeit für solche
Extravaganzen.«
»Ja, da hast du Recht.« Er sah mich an. »Aber egal, was Anna trägt
- sie wird sehr hübsch aussehen.«
Ich nickte.
Noahs Kinder teilen sich die Kosten für die Erhaltung des alten
Hauses.
Es gehört uns allen gemeinsam. Noah und Allie haben das so geregelt, ehe sie nach Creekside zogen. Weil das Haus ihnen und auch
den Kindern so viel bedeutet, brachten sie es nicht übers Herz, sich
endgültig davon zu trennen. Sie wollten es auch nicht nur einem ihrer
Kinder überlassen, denn schließlich verbindet jeder von uns unzählige glückliche Erinnerungen mit diesem Haus.
Wie ich schon sagte: Ich gehe öfter dort vorbei, und als ich jetzt
nach meinem Besuch in Creekside das Gelände inspizierte, machte
ich mir im Kopf schon Notizen, wie am kommenden Samstag alles
aussehen sollte. Grundsätzlich kümmert sich ein Hausverwalter um
den Rasen und hält den Zaun instand. Aber es blieb trotzdem noch
genug zu tun, bevor man hier ein Fest mit vielen Gästen feiern konnte. Allein konnte ich das unmöglich bewältigen. Durch Wind und
Wetter war die weiße Fassade grau geworden, aber dieses Problem
war durch eine gründliche Reinigung mit Hochdruckwasserstrahlen
ohne weiteres zu beheben.
Der Rosengarten und überhaupt das gesamte Grundstück waren allerdings trotz der Bemühungen des Hausverwalters nicht gut in
Schuss. Überall wucherte Unkraut, die Hecken und Büsche mussten
dringend gestutzt werden, von den früh blühenden Lilien ragten nur
noch die vertrockneten Stängel in die Luft. Hibiscus, Hortensien und
Geranien sorgten für Farbtupfer, mussten aber ebenfalls wieder in
Form geschnitten werden.
Das konnte alles relativ schnell erledigt werden - aber der Rosengarten bereitete mir echten Kummer. Seit das Haus leer stand, verwilderte er. Die konzentrischen Herzen waren alle etwa gleich hoch
gewachsen, und die einzelnen Sträucher überwucherten sich gegenseitig. Die Zweige wuchsen kreuz und quer in alle Richtungen, und
die Blätter verdeckten viele der Blüten. Funktionierten die Scheinwerfer überhaupt noch? Für mich sah es so aus, als könne der Rosengarten unmöglich gerettet werden, es sei denn, man schnitt sämtliche
Büsche radikal zurück und wartete ein Jahr, bis sie wieder Blüten
trieben.
Aber vielleicht konnte ja mein Gärtner ein Wunder vollbringen.
Wenn es jemanden gab, der das schaffte, dann war er es. Nathan Little war ein stiller, unauffälliger Mann mit einem leidenschaftlichen
Hang zur Perfektion. Er hatte schon einige der berühmtesten Gärten
in North Carolina bearbeitet - den Park der schlossähnlichen Biltmore Estates, die Anlage des Tyron Palace und den Botanischen Garten
der Duke University in Durham. Ich war noch nie jemandem begegnet, der so viel von Pflanzen verstand wie Nathan.
Weil ich unseren eigenen Garten so hingebungsvoll pflegte - er ist
nicht groß, aber dafür wunderschön -, hatten wir uns im Laufe der
Jahre richtig angefreundet, und es kam vor, dass Nathan nach der
Arbeit auch ohne Anlass bei uns vorbeischaute. Wir führten endlose
Gespräche über sauren Boden und darüber, ob Schatten für Azaleen
wichtig ist, über verschiedene
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