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Ein Tag wie ein Leben

Ein Tag wie ein Leben

Titel: Ein Tag wie ein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Sparks
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bemühten sie sich, die Fassung
zu bewahren. Lynn hatte die Arme vor der Brust verschränkt und
wippte auf den Füßen vor und zurück.
»Wann können wir zu ihm?«, fragte Jane tonlos.
Kate zuckte die Achseln. »Ich habe keine Ahnung. Die Krankenschwestern sagten, wir müssen auf Dr. Barnwell warten oder auf einen der Assistenten. Ich kann bloß hoffen, dass sie uns rufen.«
Schweigend klammerten sie sich aneinander.
»Wo ist Jeff?«, fragte Jane schließlich. Er war der einzige der vier
Geschwister, der noch fehlte. »Er weiß doch Bescheid, oder?«
»Ich habe ihn vorhin erst erreicht«, berichtete David. »Er fährt noch
kurz bei sich zu Hause vorbei, um Debbie abzuholen, aber dann
kommen sie direkt hierher.«
Er drückte seine beiden Schwestern an sich, und so standen die drei
eng umschlungen. Mir kam es vor, als versuchten sie, sich auf diese
Weise gegenseitig Kraft zu geben.
Wenig später trafen Jeff und Debbie ein. Jeff schloss sich gleich
seinen Geschwistern an und wurde von ihnen auf den neusten Stand
gebracht. Man sah ihm an, dass er genauso erschrocken war wie die
anderen.
Die Zeit schien stillzustehen. Bleischwer lastete die Angst auf uns.
Wir hatten uns jetzt in zwei Gruppen aufgeteilt: die Kinder von Noah
und Allie auf der einen Seite - und ihre Ehepartner auf der anderen.
Ich mag Noah sehr und bin schon so lange mit Jane verheiratet, aber
ich habe gelernt, dass es Situationen gibt, in denen Jane ihre Geschwister dringender braucht als mich.
Für Lynn, Grayson, Debbie und mich war es nicht die erste Erfahrung dieser Art, wir hatten schon öfter Ähnliches durchgemacht - im
Frühjahr, als Noah den schweren Schlaganfall hatte, außerdem bei
Allies Tod und vor sechs Jahren, als Noah seinen ersten Herzinfarkt
hatte. Die »Kinder« haben ihre gemeinsamen Rituale, sie umarmen
sich, bilden einen Gebetskreis und wiederholen immer wieder ihre
besorgten Fragen.
Wir anderen sind sehr viel stoischer. Grayson ist wie ich, das heißt
eher wortkarg. Wenn er nicht mehr weiterweiß, vergräbt er die Hände in den Hosentaschen und klimpert mit seinen Schlüsseln. Lynn
und Debbie akzeptieren natürlich, dass David und Jeff manchmal
ihre Schwestern brauchen, aber sie wirken in Krisensituationen immer recht desorientiert. Sie wissen nicht, was tun, also ziehen sie sich
zurück und reden nur noch im Flüsterton.
Ich hingegen überlege immer sofort, wie ich praktisch helfen kann das ist für mich das beste Mittel, meine Gefühle unter Kontrolle zu
behalten.
Jetzt fiel mir auf, dass die Schlange an der Anmeldung auf eine
Person zusammengeschrumpft war. Kurz entschlossen trat ich an den
Schalter. Die Schwester blickte von ihrem Stapel mit Formularen
hoch, sichtlich gestresst.
»Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte sie höflich.
»Ja, hoffentlich«, sagte ich. »Ich wüsste gern, ob Sie neue Informationen über den Zustand von Noah Calhoun haben. Er wurde vor
einer halben Stunde eingeliefert.«
»Hat der Arzt schon mit Ihnen gesprochen?«
»Nein. Aber jetzt ist die ganze Familie hier, und wir sind alle sehr
in Sorge.«
Mit einer Kopfbewegung deutete ich auf die Geschwister, und die
Krankenschwester folgte meinem Blick.
»Ich nehme an, dass der Arzt oder ein Assistent demnächst bei Ihnen sein wird.«
»Ja, das hat man uns schon gesagt. Aber könnten Sie vielleicht irgendwie für uns in Erfahrung bringen, wann wir unseren Vater sehen
dürfen? Und wie seine Überlebenschancen stehen?«
Ich war mir nicht sicher, ob sie mir helfen würde. Sie warf noch einen Blick auf die anderen und seufzte.
»Wenn Sie sich noch ein paar Minuten gedulden - ich muss diese
Formulare bearbeiten, aber dann werde ich sehen, was ich für Sie tun
kann, einverstanden?«
Grayson kam zu mir, die Hände in den Taschen. »Ist alles in Ordnung?«, fragte er.
»Ich denke schon.«
Er nickte und klimperte mit seinen Schlüsseln.
»Vielleicht sollten wir uns lieber hinsetzen«, sagte er nach kurzem
Schweigen. »Wer weiß, wie lange wir noch hier warten müssen.«
Wir nahmen in der Reihe hinter den Geschwistern Platz. Gleich
darauf erschienen Anna und Keith. Anna ging sofort zu den Geschwistern, wohingegen sich Keith zu mir setzte. In ihrem schwarzen
Kleid sah Anna aus, als käme sie direkt von einem Begräbnis.
Die Warterei ist immer das Schlimmste - und genau aus diesem
Grund kann ich Krankenhäuser nicht ausstehen. Nichts tut sich, aber
im Geist sieht man die schrecklichsten Bilder vor sich und macht
sich unbewusst auf alle

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