Ein Tag wie ein Leben
mitbekommen, wie sie mit ihrer Schwester Kate telefonierte und darüber rätselte, warum es mir wohl so
schwer fiel, romantisch zu sein. Es ist ja nicht so, dass ich nicht immer wieder einen Versuch unternommen hätte, aber ich glaube, ich
habe keine richtige Vorstellung davon, was man tun muss, um das
Herz der Geliebten höher schlagen zu lassen. In der Familie, in der
ich aufgewachsen bin, war es nicht üblich, sich zu umarmen und zu
küssen. Offen zur Schau gestellte Zärtlichkeit ist mir peinlich, vor
allem in Gegenwart meiner Kinder. Einmal habe ich mit Janes Vater
über dieses Thema gesprochen, und er schlug mir vor, ich solle meiner Frau doch einen Brief schreiben. »Schreib ihr, warum du sie
liebst«, sagte er. »Zähle ein paar ganz konkrete Gründe auf.« Das ist
jetzt zwölf Jahren her. Ich habe versucht, seinen Rat zu befolgen,
aber immer, wenn ich vor dem leeren Papier saß, sind mir einfach
nicht die passenden Worte eingefallen, und so habe ich jedes Mal
den Stift wieder weggelegt. Im Gegensatz zu Janes Vater fällt es mir
schwer, meine Gefühle auszudrücken. Ich bin ein sehr zuverlässiger
Mensch, man kann sich hundertprozentig auf mich verlassen. Treu
und loyal bin ich auch, daran gibt es keinen Zweifel. Aber Romantik
ist nicht das meine. Ich kann nicht romantisch sein, genauso wenig,
wie ich schwanger werden kann.
Manchmal wüsste ich gern, wie vielen Männern es in dieser Hinsicht ähnlich geht wie mir.
Als ich in New York anrief, um mit Jane zu sprechen, nahm Joseph
den Hörer ab.
»Hey, Pop«, sagte er nur.
»Hallo. Wie geht es dir?«
»Gut, danke«, antwortete er. Und nach einer quälend langen Pause
fügte er hinzu: »Und dir?«
Ich trat unruhig von einem Fuß auf den andern. »Hier ist alles sehr
still - aber ich komme klar. Wie geht es Mom?«
»Bestens. Ich sorge dafür, dass sie beschäftigt ist.«
»Spielt ihr Touristen?«
»Das auch. Aber im Grund reden wir hauptsächlich. Sehr spannend.«
Was wollte er damit sagen? Joseph schien keinen Anlass zu sehen,
von sich aus mehr zu erklären.
»Aha«, sagte ich nur. »Ist sie da?«
»Im Moment leider nicht - sie ist noch ein paar Lebensmittel einkaufen gegangen. Aber eigentlich müsste sie gleich wiederkommen.
Vielleicht kannst du’s ja später noch mal versuchen.«
»Ach, nein, ist schon gut«, sagte ich. »Sag ihr einfach, dass ich angerufen habe. Ich bin den ganzen Abend hier, falls sie mich sprechen
möchte.«
»Wird gemacht«, sagte er. Und nach kurzem Überlegen fügte er
hinzu: »Hey, Pop - darf ich dich etwas fragen?«
»Ja, gern.«
»Hast du wirklich euren Hochzeitstag vergessen?«
Ich seufzte. »Ja, leider.«
»Warum denn?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Ein paar Tage vorher habe ich noch
dran gedacht, aber am Tag selbst ist es mir entfallen. Ich habe keine
Entschuldigung.«
»Ich glaube, das hat Mom sehr gekränkt.«
»Ich weiß.«
Wieder folgte ein Schweigen am anderen Ende der Leitung, bis Joseph fragte: »Verstehst du, warum?«
Ich beantwortete seine Frage zwar nicht, aber ich glaubte doch, die
Gründe zu kennen. Jane wollte auf keinen Fall, dass es bei uns so lief
wie bei den älteren Ehepaaren, die wir manchmal im Restaurant beobachteten. Wir hatten diese Paare immer nur bemitleidet.
Die Paare sind, das möchte ich betonen, in der Regel durchaus höflich zueinander. Der Mann rückt seiner Frau den Stuhl zurecht und
bringt die Mäntel zur Garderobe. Die Frau schlägt eines der Tagesgerichte vor. Und wenn der Kellner kommt, unterbrechen sie sich beim
Bestellen immer gegenseitig, weil der andere alles besser weiß - die
Spiegeleier bitte nicht salzen, dafür aber ein zusätzliches Stück Butter für das Toastbrot und so weiter.
Doch wenn sie dann die Bestellung aufgegeben haben, wechseln sie
kein Wort mehr miteinander.
Stattdessen nippen sie stumm an ihren Drinks, schauen aus dem
Fenster und warten darauf, dass das Essen serviert wird. Wenn der
Kellner erscheint, sprechen sie vielleicht kurz mit ihm - sie bitten ihn
beispielsweise, noch etwas Kaffee nachzuschenken -, aber sobald er
weg ist, zieht sich jeder wieder in sein Schneckenhaus zurück. Während der ganzen Mahlzeit wirken sie wie zwei Leute, die sich gar
nicht kennen und sich nur zufällig am selben Tisch gegenübersitzen.
Man hat das Gefühl, als erschiene ihnen ein richtiges Gespräch nicht
der Mühe wert.
Vielleicht ist das alles völlig übertrieben, vielleicht entsprechen
diese Beobachtungen gar nicht der Wirklichkeit, aber ich
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