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Ein Tag, zwei Leben

Ein Tag, zwei Leben

Titel: Ein Tag, zwei Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Shirvington
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Französisch gelernt, Sabine? Was treibst du da für ein Spiel?« Er war außer sich vor Zorn. Die Zeit der Sorge und des Mitgefühls war eindeutig vorbei – wenn diese Gefühle überhaupt da gewesen waren.
    » Dad.« Ich sagte das sarkastisch, denn es war ein Titel, auf den er meiner Meinung nach keinen Anspruch mehr hatte. » Schön, dass du mich besuchen kommst.« Bevor er etwas erwidern konnte, drehte ich mich auf die andere Seite, weg von ihnen, und wünschte, man hätte durch das verriegelte Fenster Aussicht auf etwas Schöneres als einen asphaltierten Parkplatz.
    » Dr. Levi«, sagte mein Vater auffordernd, und ich hörte, wie er zurück in den Flur stapfte.
    Nach einem tiefen Seufzer folgte ihm Dr. Levi, doch an der Tür blieb er stehen. » Ich komme bald wieder zurück, Sabine. Vielleicht können wir unsere Unterhaltung dann fortsetzen.«
    » Wohl kaum«, erwiderte ich, wobei ich mir nicht die Mühe machte, mich umzudrehen und ihn anzuschauen.
    Die Worte meines Vaters waren nicht zu überhören.
    » Ihre Mutter wurde auf Valium gesetzt, verdammt noch mal! Sie kann diese … Unruhe … nicht ertragen. Was stimmt nicht mit Sabine? Wie kommt es, dass sie auf einmal Französisch spricht?«
    Gute Frage, Dad.
    Dr. Levis Tonfall war mehrere Dezibel leiser als die meines Vaters, doch seine Stimme hallte trotzdem durch die ansonsten stille Klinik.
    » Sie scheint sich eine alternative Welt erschaffen zu haben, in der sie, in ihrem Kopf zumindest, zeitweise lebt. Außerdem scheint das schon seit vielen Jahren so zu gehen. Nach allem, was Ethan in seinen Berichten schreibt, ist sie extrem überzeugend. Zweifellos hat sie jedes Element dieses neuen Lebens so sorgfältig konstruiert, dass sie trotz aller Beweise, mit denen wir sie vom Gegenteil überzeugen wollen, eine Möglichkeit findet, unsere Logik zu widerlegen. Es ist … Na ja, es ist zwanghaft, aber auch ziemlich brillant. Eine so komplexe Welt zu erschaffen wie sie, dazu müsste sie nahezu ein Genie sein und obendrein auch noch …«
    » Geistesgestört!«, blaffte mein Vater. » Aber das erklärt noch immer nicht die anderen Sprachen.«
    » Doch, eigentlich schon. Wenn sie so vollständig in ihre Fantasieexistenz eingetaucht ist, wäre es auch glaubhaft, dass sie sich selbst mit den Werkzeugen ausgestattet hat, um sie zu rechtfertigen. Es liegt im Bereich des Möglichen, dass sich Sabine über viele Jahre hinweg selbst heimlich Französisch beigebracht hat – und mit ihrer Intelligenz ist das machbar.«
    Shit.
    Ich hörte der Unterhaltung nicht mehr zu und wischte ein paar Tränen weg. Egal, was ich tat, ich würde immer als verrückt abgestempelt werden. Es war ein Fehler gewesen zu glauben, ich könnte jemanden dazu bringen, mir zu glauben. Ethan hatte seine Berichte geschrieben, hatte gesagt, ich wäre überzeugend, aber das war’s dann auch schon. Das Schlimmste daran: Es hatte da diesen einen Moment gegeben, in dem ich mir sicher gewesen war, dass ich Neugier aufflackern sah – eine Andeutung, dass er mehr erfahren wollte. Hatte ich diese Dinge nur gesehen, weil ich sie sehen wollte? War es überhaupt nicht so gewesen?
    Als Dr. Levi zurückkehrte, wandte ich meine Aufmerksamkeit weiterhin dem Fenster zu. Er stellte eine Frage nach der anderen. Er fragte überwiegend dummes, sinnloses Zeug. Ab und zu gab ich ihm eine Antwort, in der Hoffnung, dass er dann wegginge, aber ich bot ihm keine neuen Informationen. Sie würden ja doch nur dazu benutzt werden, mich weiter zu belasten.
    » Sabine, ich muss wissen, ob du weiterhin vorhast, dir selbst zu schaden. Kannst du mir das sagen?«, fragte er. Er klang so, als hätte er allmählich die Nase voll.
    Ich antwortete nicht. Er würde mir nicht glauben, wenn ich Nein sagte, und wenn ich ihm die Wahrheit sagte, würde er mich wieder festschnallen lassen.
    Er seufzte. » Dann muss eben eine Tagesschwester bei dir bleiben.«
    Ich reagierte nicht, obwohl ich widersprechen wollte.
    » Okay, Sabine. Ruh dich jetzt aus.« Als ich hörte, wie er seine Sachen zusammenpackte, drehte ich mich um.
    » Kann ich … kann ich ein Telefon benutzen?« Ich wusste, dass ich in seinen Augen nichts getan hatte, um das zu verdienen, aber ich musste es versuchen.
    Zuerst dachte ich, er würde Nein sagen, doch kurz darauf nickte er knapp. » Ethan wird gleich hier sein. Ich werde ihm sagen, dass du einen Anruf machen darfst, aber er muss während des Gesprächs anwesend sein, fürchte ich.«
    Ich nickte, erleichtert, wenigstens das zu

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