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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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Schale mit Obst und Gemüse zu werfen, das am Morgen von einem einheimischen Gärtner geliefert wurde, den Abbas besonders schätzt. Stiele unversehrt, die Haut glänzend und mit leichten Druckstellen von der Fahrt auf dem klapprigen Lieferwagen durch die feuchte Gilan-Luft. Sie arrangiert ein paar Stücke neu nach Farben und wählt eine Gurke aus – die aus keiner persischen Obst- und Gemüseschale wegzudenken ist –, halbiert sie der Länge nach und bestreut die Schnittflächen mit Salz. Selbst als Erwachsene verzichtet Saba nie auf das kindliche Vergnügen, die beiden Hälften aneinanderzureiben, sodass ein salziger Schaum entsteht. Sie wischt sich über die nasse Nasenspitze und geht weiter durchs Haus, ruft in jedem Zimmer Abbas’ Namen, nicht, weil sie ihn braucht, sondern um sich zu vergewissern, dass sie allein ist. Schließlich steht sie vor ihrem Zimmer, dem Zimmer, in dem sie schläft, aber nach wie vor nicht ihre Kleidung aufbewahrt. In dem sicheren Gefühl, dass er nicht zu Hause ist, befreit sie sich von ihrem Kopftuch und der Jacke, unter der sie nur eine dünne Bluse und einen grauen Rock trägt. Sie öffnet die Tür und will die Kleidungsstücke schon aufs Bett werfen, doch dann erstarrt sie.
    Abbas steht vor dem Nachttisch. Und außerdem sind Fremde in ihrem Schlafzimmer.
    Sie begrüßt die beiden unbekannten Frauen in formlosen, städtischen Tschadors, die mit einer ausladenden mütterlichen Unbefangenheit auf ihrem Bett sitzen. Sie sehen aus wie Basidsch-Schwestern, die schwarz gekleideten islamischen Frauen der freiwilligen Basidsch-Miliz, die mithelfen, ihren iranischen Landsleuten die nachrevolutionären Regeln aufzuzwingen. Was wollen die hier? Solche Frauen sind in kleinen nördlichen Dörfern ein seltener Anblick. Sie sind beide bis zu den Augenbrauen bedeckt, kein einziges Haar ist sichtbar, aber dafür jede Menge schwindelerregendes Schwarz. Sie sprechen leise mit Abbas. Zuerst macht ihre Anwesenheit Saba keine Angst. Sie staunt nur darüber, dass sie so massig sind, ihr Zimmer wie schwarze Wolken füllen. Wie rabenschwarze Geier. Doch dann sieht sie, wie eine ein lippenloses Grinsen aufsetzt, ein Grinsen, das sich tief ins Gesicht eingräbt und die Augen mit seiner Härte erfüllt, und sie denkt, dass sie die Frau schon mal gesehen hat. Ist das nicht die
dalak
, die sie einmal sah, als sie durch eine Tür trat und ihre Mutter unter einer Handvoll Fäden erblickte?
Bänder werfen
, nannten sie das. Ist das nicht die Frau, die über den Unterkörper ihrer Mutter gebeugt stand, zwei Finger jeder Hand von einem Netz aus glänzenden Fäden umschlungen, und drau f loszupfte wie eine bucklige Musikerin? Früher machten die
dalaks
– meistens waren es Männer – in den Badehäusern alles, schrubben, massieren, sogar Beschneidungen vornehmen. Ihre weiblichen Gegenstücke mit ihren Luffas und Bimssteinen sind jetzt größtenteils arbeitslos, weil die meisten öffentlichen Hamams wegen der Zunahme von privaten Badezimmern geschlossen sind. Sie haben sich andere Arbeitsfelder gesucht – illegale Salons, schneidern, putzen. Vielleicht ist diese hier eine Basidsch geworden. Viele arme Frauen haben sich dafür entschieden. Saba kann sehen, dass keine der Frauen aus der Gegend ist, zumindest nicht mehr. Sie beäugt die fremden Wesen, die so anders sind als ihre Mutter, die Wissenschaftlerin-Aktivistin mit ihren aus London importierten Blusen, und so anders als ihre Ersatzmütter mit ihren Henna-Haaren, schmuckverzierten Kopftüchern und vielfarbigen Röcken, von denen sie immer zwei oder drei gleichzeitig tragen.
    »Mach die Tür zu, Saba«, sagt Abbas. Saba gehorcht.
    Er nimmt ihre Hand und zieht sie mit einer Entschlossenheit näher, die sie gar nicht von ihm kennt. Er bedeutet ihr mit einem Nicken, sich aufs Bett zu setzen. Die Frauen machen zwischen sich Platz für Saba, grüßen sie mit übertriebener Hö f lichkeit. Ihr kommt der Gedanke, dass vielleicht jemand anders gestorben ist.
O Gott, bitte nicht schon wieder ein Todesfall
. Die ehemalige Fadenkünstlerin legt eine Hand auf ihr Bein. Abbas kniet sich vor sie und sieht ihr ins Gesicht, als wäre sie ein ungehorsames Kind. »Saba«, beginnt er. »Es ist meine Aufgabe, für dich und unser gemeinsames Wohl zu sorgen. Uns vor Unheil zu schützen. Auch wenn das heißt, dich vor dir selbst zu schützen.«
    Sie runzelt verständnislos die Stirn.
    Abbas richtet sich auf, zieht seine Hose gerade und streicht sich nervös über das schüttere

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