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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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erinnern?
Frauengeschäfte
. Abbas hat recht. Es war töricht von ihr, mit ihm ein Geschäft machen zu wollen. Es war töricht von ihr, seine Ängste zu übersehen und nur Augen für ihre eigenen zu haben, sich einzubilden, sie könnte ihn heiraten und dann für ein bequemes Visum verlassen. Was für ein idiotischer Plan. Sie war so dumm, dass sie das verdient hat. Und jetzt ist sie hier und verheiratet – für wie lange? Sie denkt an den Tag zurück, als sie Ponneh nach dem Vorfall mit Mustafa getröstet hat. Wenn doch nur Mahtab bei ihr wäre, um sie zu trösten. Sie verflucht sich selbst, weil sie sich über Dr. Zohreh und ihre Freundinnen erhoben hat, gedacht hat, sie würden in die gesichtslose Leere des Westens hineinrufen, während sie selbst doch alles unter Kontrolle habe. Sie verflucht den Hochmut ihrer vermeintlichen Logik. Sie überlegt noch einmal, ob sie sich an ihren Vater wenden soll, doch was kann sie ihm schon sagen? Die Bauersfrau hatte recht. Er kann sich nicht um Gerechtigkeit bemühen, ohne ihr Vermögen zu gefährden. Außerdem muss er als christlicher Konvertit vorsichtig sein. Juristische Auseinandersetzungen heraufzubeschwören und sich mit den Basidsch anzulegen, könnte sie beide in Gefahr bringen. Das Gesetz macht Saba Angst. Und wenn sie es ihrem Vater dennoch erzählen würde, auch wenn er nichts unternehmen kann? Er würde leiden, wenn er es erführe, und sich ihr gegenüber noch seltsamer benehmen. Nein, beschließt sie, es wäre falsch, es ihm zu erzählen.
    Sie lässt das Ereignis wieder und wieder Revue passieren, aber sie kann nicht genau definieren, was ihr eigentlich widerfahren ist. War es ein Verbrechen? Gibt es zwischen Eheleuten so eine Art von Verbrechen? Wäre es klug, sich auf eigene Faust um Gerechtigkeit zu bemühen? Ponneh hat nie Gerechtigkeit erfahren. Und wenn sie Abbas verlässt, nach Teheran zieht und dort bei Verwandten wohnt? Diese Idee verwirft sie sofort wieder. Die Dinge haben sich geändert. Das Schlimmste ist bereits geschehen. Es genügt nicht mehr, sich nach Amerika davonzuschleichen, eine Taxi fahrende, in einer Fabrik arbeitende Einwanderin zu werden, wie ihre Cousins das in Briefen beschrieben haben. Sie will für ihr Opfer unendlich viel mehr haben.
Ohne das Geld geh ich hier nicht weg.
Schließlich geht es nicht um den gefährdeten Reichtum ihres Vaters, der ihm jederzeit durch eine Laune der Herrschenden genommen werden könnte, sondern um sicheres muslimisches Witwengeld, das sie sich verdient hat. Eines Tages wird sie aus dem Iran fliehen, aber sie wird nichts unternehmen, das sie enterben könnte. Es ist an der Zeit, stark und rational zu sein. Sie verbietet es sich, Abbas’ Geheimnis aus Rachsucht und Zorn zu verraten. Anders als Mahtab kann sie nicht einfach Nein sagen und ohne Verlust weitermachen. Sie wird das
maast-mali
-Prinzip anwenden und ihr Joghurtgeld bekommen, wie die Münzen, die Khanom Omidi aus ihrem Joghurtverkauf beiseiteschafft. Diese Belohnung ist jetzt, da sie ein verwundetes Wesen ist, ihr einziger Trost. Sie ist ihre einzige Chance auf Freiheit.

»Bésame Mucho«
    Khanom Basir
    I n letzter Zeit denke ich viel über Abschiede nach. In dem Jahr, nachdem Saba Mahtab und ihre Mutter verloren hatte, wurde sie in der Schule aufsässig, und ihr Vater schickte sie immer seltener hin und ließ stattdessen häufiger Privatlehrer aus Rasht kommen, Männer und Frauen, die mal in Amerika gelebt hatten. Sie unterrichteten sie nicht bloß aus Büchern, sondern erklärten ihr auch den ganzen Slang in ihren Fernsehsendungen und schulten ihr Ohr für die englische Sprache. Manchmal, wenn in der Schule eine Klassenarbeit geschrieben wurde, ging sie hin, und selbst dann machte sie dort Schwierigkeiten – trug zum Beispiel ein braunes
maghnaeh
(das hässliche dreieckige Schulkopftuch) statt des vorgeschriebenen grauen, trug es verkehrt herum und ließ Hals und Ohren unbedeckt oder bemalte sich die Haut mit rotem Filzstift, sodass es aussah, als wäre sie tätowiert. Wenn sie nach Hause kam, versteckte sie die wütenden Briefe der Lehrer. Ich sagte ihr, dass es keinen Sinn hat, sich zu ducken, wenn man auf einem Kamel reitet. Soll heißen: Wenn sowieso offensichtlich ist, was du tust, spar dir den lachhaften Versuch, es zu verbergen.
    Sie war damals so verloren. Einmal hörte ich in der Küche der Hafezis, dass Saba im Wohnzimmer über irgendeine Kleinigkeit weinte, eine Fernsehserie, die von der neuen Regierung abgesetzt worden war. Sie

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