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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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das Schüreisen nimmt und es mit der lässigen Präzision einer Ärztin hält.
    Saba versucht erneut, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. »Wenn ihr mich anrührt, landet ihr beide im Gefängnis.«
    Sie achten gar nicht auf sie.
»Jalla. Jalla.«
Die Verletzte treibt die andere zur Eile. Sie blutet Sabas Bett voll. Ihre Kameradin gehorcht, greift unter Sabas Rock, während die blutende Frau von oben ihre Beine auseinanderdrückt, und erst jetzt begreift Saba.
    »Bitte«, fleht sie und stammelt durch Rotz und Tränen einfach drau f los. »Seid ihr Basidsch? Dafür kommt ihr trotzdem ins Gefängnis. Mein Vater … der ist … Braucht ihr Geld? Ich hab Geld.« Sie scheinen fest entschlossen, ihr nicht zuzuhören, also schließt sie die Augen, wendet den Kopf ab und denkt, dass sie wenigstens nicht ermordet wird, eine Angst, die kurz in ihr aufgeflammt war. Sie betet um ein Wunder, und als sie sich sicher ist, dass es nicht kommen wird, betet sie darum, dass das Schüreisen gesäubert worden ist.
    Dann ist die Spitze des groben Werkzeugs in ihr. Sie spürt den harten Metallkopf zuerst ein wenig piksen, dann durchfährt sie ein entsetzlicher Schmerz, als er ganz hineingerammt wird. Sie schreit. Sie stellt sich vor, wie sie diese Frauen später leiden lassen wird, wenn ihr Vater erfährt, was die ihr angetan haben.
    Sie versucht, sich wegzudenken, ihren Verstand abzuschalten und eine tiefe, weiche Stimme aus Amerika heraufzubeschwören, die sie einst an Tee und Kardamom erinnerte. Sie sieht sich weit, weit weg von hier, irgendwo in diesem Song.
    Am Meer. An einem Ort namens Georgia.
    Sitting on the dock of the bay.
    Sie schämt sich für den heißen Tränenstrom, der sich über ihre Wangen ergießt. Die verletzte Frau legt Saba eine Hand auf die Stirn, als wollte sie sie trösten. Sie wischt ihr den Schweiß ab und summt etwas Beruhigendes. Saba wünscht sich nichts mehr, als dieser Frau wehzutun, die sich anscheinend einbildet, sie wüsste, was gut für sie ist – warum sollte sie sie sonst trösten, wie eine Krankenschwester ein Kind tröstet, das Angst vor einer Spritze hat?
    Wie absurd, dass Abbas hierfür eine ehemalige
dalak
angeheuert hat, die weibliche Attraktivität steigern soll, eine Künstlerin, die der Schönheit plötzlich den Krieg erklärt hat. Für Abbas ist es wahrscheinlich eine normale Dienstleistung in diesem Metier. An wen wenden sich denn Ehefrauen, wenn sie irgendein obskures frauliches Ärgernis beheben müssen? Das hier ist bloß ein unappetitliches Hygieneproblem, wie wenn in einem Hamam tote Hautzellen weggeschrubbt werden. Sie stößt die Hand der Frau weg. »Rühr mich nicht an, du dreckige
dehati
. Ihr könnt was erleben, wenn ich das meinem Vater erzähle.«
    Die Frau kichert. »Du hältst dich für oberschlau … Was will dein Vater denn machen? Dem Richter erzählen, dass dein Ehemann kein Mann ist, sodass du enterbt wirst?« Sie sieht ihre Partnerin an. »Bist du fertig? Sieh nach, und dann verschwinden wir.« Durch die Lücke zwischen ihren Beinen sieht Saba den Kopf der unverletzten Frau zwischen ihren zitternden Knien abtauchen. Ein seltsamer Geruch steigt vom Laken auf und vermischt sich mit dem säuerlich stinkenden Atem der Bauersfrau und dem gerinnenden Blut aus ihrer Nase. Saba fühlt etwas Warmes und Klebriges, als sie die Oberschenkel zusammenpresst. Ein kaltes Händepaar gibt ihre Knie frei, und sie klatschen zusammen. Saba rollt sich auf die Seite, bleibt auf dem von ihrem Blut und dem ihrer Angreiferin dunkel verfärbten Laken liegen, ein verlassenes Schlachtfeld in der Dämmerung.
    »Ja«, sagt die dumpfe Stimme der Basidsch. »Gehen wir.«
    Die zwei Frauen, deren Gesichter jetzt in Sabas Gedächtnis eingebrannt sind, ziehen das Laken ab, das sie vorlegen müssen, um ihr Geld zu bekommen, und eilen wortlos zur Tür. Sie sieht ihnen nach, und eine Last in ihrer Brust bewegt sich schmerzhaft, als eine von ihnen sich umdreht und sie anschaut. Sie wirft Saba einen bedauernden Blick zu, ihre ganz eigene Version von weiblichem Mitgefühl. Draußen keifen sie Abbas an, ehe sie ihren Lohn kassieren und das Haus in einer dunklen, bedrückten Stille zurücklassen, die jetzt Sabas Zuhause sein wird. Für wie lange? Vielleicht für immer. Vielleicht hundert schwarze Jahre lang.
    Tagelang bleibt Saba im Bett liegen. Mal weint sie, mal verachtet sie sich für ihre Tränen. Ist sie jetzt keine Jungfrau mehr? War das ihre ganz eigene perverse Hochzeitsnacht? Sollte sie sich ewig daran

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