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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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Möglichkeiten, die nach seinem Tod auf sie warten, so krass vor Augen geführt zu bekommen.
    »Worauf willst du hinaus?« Seine Stimme ist barsch geworden.
    Worum Saba ihn bitten will, was sie sich vor allem wünscht, ist, dass er einen Brief aufsetzt, der ausschließlich für ihren zukünftigen Ehemann gedacht ist und in dem er bezeugt, dass ihre Ehe nicht vollzogen wurde. Das kann doch niemandem schaden. Ihm muss schließlich klar sein, dass es in ihrem eigenen Interesse liegt, die Wahrheit für sich zu behalten, damit sie sein Vermögen erben kann. Somit steht für ihn auch nicht zu befürchten, dass sie die Dinge öffentlich macht, folgert Saba. Und überhaupt, wieso sollte er ihr nicht diesen kleinen Gefallen tun? Wenn sie ihn nicht bloßstellt, sollte er ihr im Gegenzug diese kleine Versicherungspolice gegen eine weitere lieblose Ehe geben, falls sie es doch nie nach Amerika schafft. Oder ist das zu gierig von ihr? Saba wappnet sich innerlich. Um dieses eine muss sie ihn bitten. Sonst würde ihr niemand glauben, dass sie noch Jungfrau ist. Sie hätte nie die Chance, einen Mann in ihrem Alter zu finden, einen, den sie vielleicht sogar noch mehr lieben könnte als Mahtab.
    »Ich hab bloß gerade gedacht«, beginnt sie vorsichtig, »wie gut wir zueinanderpassen.« Sie presst alle Aufrichtigkeit, die sie in sich findet, zu einem festen Ball zusammen und wirft ihn Abbas mit genau kalkulierten Worten zu. »Ich würde niemals etwas sagen, das dich verletzt.« Verwirrung malt sich auf Abbas’ Gesicht ab. »Aber würdest du es gutheißen, wenn ich ein zweites Mal heirate?«
    Seine Miene verdunkelt sich. »Ich glaube nicht, dass ich dann noch groß Einfluss darauf nehmen könnte.«
    Sie seufzt. »Du könntest einen Brief aufsetzen. Ich würde ihn nie jemandem zeigen. Schreib unser Geheimnis auf, und ich verspreche dir, ich werde es für uns schützen.« Ihre Stimme bebt vor Verzweiflung, und auf einmal schämt sie sich, das Gespräch überhaupt begonnen zu haben. Sie berührt seine Hand.
    »Azizam«
, sagt er, »wenn ich es aufschreibe, ist dein Erbe gefährdet.«
    »Genau deshalb kannst du mir ja vertrauen. Das ist etwas, das wir beide füreinander tun können.«
    Abbas lacht über ihre Gerissenheit. »Meine raffinierte kleine Frau«, sagt er und tätschelt matt ihre Hand. »Ich will nicht mehr vom Tod reden«, murmelt er über die Schulter, als er aus dem Haus geht.
    In der neunten Nacht tut Agha Mansuri während eines schlimmen Albtraums, der vermutlich durch die bevorstehende Beerdigung und die baldige endgültige Trennung von Khanom Mansuri ausgelöst wird, seinen letzten Atemzug und folgt seiner Frau nach. Aus Angst davor, was sie finden könnte, geht Saba nicht noch mal in sein Haus, um seine Medikamente zu kontrollieren. Sie schnuppert nicht in der Luft oder sucht nach verräterischen Einkäufen. Sie verabschiedet sich von ihm und verspricht, vor Gott zu bezeugen, dass er sich nichts angetan hat. Sie verteilt genau dieselbe Menge
halva
wie während der Trauerzeit um seine Frau.
    Saba und ihr Vater helfen der Familie im Lagerraum, Agha Mansuri in ein Leichentuch zu hüllen. Dann wird er hinausgetragen und neben seiner Frau unter dem Doppelgrabstein beerdigt. Vater und Tochter stehen Seite an Seite und sprechen beide ein stummes Gebet. Jeder von ihnen vermisst ein verlorenes anderes Ich. Saba fragt sich, zu welchem Gott ihr verwirrter Vater jetzt wohl betet. Wahrscheinlich zu dem Gott seiner Frau, dem er all die Zeit, die er mit ihr zusammen war, ergeben gefolgt ist. Sein Atem geht flach und gepresst, seine Augen sind blutunterlaufen. Nachdem die Familie mit den Geistlichen gegangen ist, verweilen Saba und ihr Vater noch lange in dem höhlenartigen Raum, der in den Hang gebaut ist, stumm und nachdenklich. Wie viel hat sich verändert, seit ihre Mutter fortging …
Wohin?
    »Baba, bitte sag mir, was mit Maman passiert ist.« Ihre Stimme hallt durch die Dämmerung des offenen Lagerraums, einer langen Röhre, die sich zu einem unsichtbaren Ende hin verjüngt. Die Wände sind aus Lehm und grob behauenen Felsen, die tiefsten Winkel unerforscht. Saba schlingt die Arme um ihren zitternden Körper und lässt den Blick über die Kartons mit Lebensmitteln schweifen, die zu unverschämten Preisen erstandene Schwarzmarktware, die ausländischen Luxusartikel – Vollkornkekse, La-Vache-qui-rit-Käse, Johnson’s Babyshampoo, Canada Dry, nichts schnell Verderbliches – versteckt in den hintersten Ecken.
    Agha Hafezi atmet

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