Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
Vom Netzwerk:
gleichen Quelle kommen. Das Schicksal von Zwillingen ist schließlich unau f lösbar verbunden. Zumindest hat Mahtab eine einseitige Liebe erlebt. Sie durfte auf Cameron liegen und seinem Herzen lauschen, seine Lippen mit ihren berühren und ihn zum Lachen bringen, ihre Finger über seine ach so weißen Harvard-Zähne gleiten lassen. Ich wüsste gern, wie das ist, für einen Nachmittag Zugang zu so einem Mann zu haben. Ihn zu wollen und so nah herangelassen zu werden. Manchmal ist mir egal, ob so ein Mann mein Ehemann ist oder ein Fremder, nur durch unsere gemeinsamen verbotenen Begierden an mich gebunden. Ich hasse Abbas dafür, dass er alt ist, dass er mir selbst die kleinste Kenntnis von solchen Dingen verweigert, das geringste bisschen Lust. Das Gefühl, dass ich halbwegs menschlich bin, auch wenn mir sozusagen meine andere Hälfte fehlt. Manchmal hasse ich ihn
dafür
mehr als für die Brutalität, die er mir angetan hat.
    Vielleicht bin ja auch ich eine Einwanderin, die durch die Ehe irrt, so wie Cameron und Mahtab durch Amerika irren, auf ein Fantasiebild zu, das es einmal gab. Ich möchte mein natürliches Ich sein, vollständig, auch ohne Mahtab, und wild, mit unbedecktem Haar. Vielleicht könnte ich um ein Lagerfeuer tanzen, wie die Frauen beim Nouruz-Fest vor der Revolution. Flatterndes schwarzes Haar. Frauen, die ihre Ehemänner und Liebhaber küssen. In Schlafzimmer stürzen, um wer weiß was zu tun. Dann würde ich nicht wollen, dass Reza wie James ist oder Abbas wie Cameron. Ich würde mich nicht danach sehnen, an Mahtabs Stelle zu sein. Ich würde nur mein ganz normales Selbst sein wollen, ohne Bücher oder Kultur – bloß ein wildes, hungriges Wesen, das barfuß herumläuft.
    Die Welt hat sich verändert, Khanom Omidi, und jetzt sind wir
alle
impotent.
    »
Ach, mit was für seltsamen Zeiten ihr Kinder es zu tun habt.« Khanom Omidi seufzt. »Wir wünschen uns alle die Vergangenheit zurück, Saba-dschan, aber wir müssen uns mit kleinen Freuden begnügen … Vielleicht sollten wir etwas essen, Tee trinken. Und dann musst du mir erzählen, was dieser Mann mit dir gemacht hat.«
    Ja, später vielleicht … Doch jetzt ist meine Schwester an der Reihe. Am nächsten Tag findet Mahtab die Kreditkarte in ihrem Briefkasten. Sogar mit ihrem Namen drauf. Sie steckt sie in ein separates Fach in ihrem Portemonnaie, getrennt von ihrem eigenen Geld. Sie ruft weder Cameron an, noch erzählt sie ihren Freunden oder ihrer Mutter davon. Sie ist zu sehr damit beschäftigt, seine Fehler zu korrigieren. Sie wird sich morgen damit befassen. Aber am nächsten Tag verlangt ihr Boss, dass Mahtab noch mehr Schichten arbeitet, und sie hat keine Zeit, die Kreditkarte zurückzuschicken. Außerdem will ein Teil von ihr diese Verbindung zu Cameron festhalten. Er hat sie zwar verlassen, aber dieses kleine Stück Plastik bindet ihn immer noch an sie. Es ist etwas, das sie behalten kann, wie ein in ihrem Zimmer vergessenes T-Shirt oder Buch. Es bedeutet, dass er an sie denkt. Sie verdrängt es, redet sich ein, dass es kein Einlenken ist, die Karte zu behalten. Außerdem wird er in einem Monat vergessen haben, dass sie diesen Schlüssel zum Vermögen seiner Familie besitzt.
    Eines Nachmittags benutzt sie mit zitternden Händen die Karte, um eine Tasse Kaffee zu bezahlen. Und um zu sehen, was passiert, ob die Sache real ist oder bloß eins seiner Spielchen. Die Zahlung geht problemlos vonstatten, und die Karte wiegt schwer in ihrer Hand. Sie hat dieses unverdiente Geld akzeptiert und eine dicke Schicht Joghurt darübergestrichen, damit es keiner merkt. Zwei Tage später testet sie die Karte erneut. Sie kauft ein Buch, das sie zwanzig Minuten später wieder zurückgibt. Die Musik des Kreditkartenlesegeräts bestätigt, dass jemand ihr stillschweigendes Einverständnis akzeptiert hat.
    »Aber wie denn, Saba? Was ist das für ein Gerät?«
    Eine Woche später, als sie ein schla f loses Wochenende, zwei Abgabetermine und eine Prüfung vor sich hat, kündigt Mahtab ihren Job an der Kinokasse.
    Hat sie ein schlechtes Gewissen? Weiß jemand, was sie getan hat? Benetzt sie nachts ihr Kopfkissen und gibt dem unrechten Stück Hermès-Seide die Schuld für ihren armen Arier, der zurück in die Heimat will und so große Träume und heimliche Ängste hat?
    »Dann nimmt sie das Geld also an?«, sagt Khanom Omidi. »Vielleicht ist das klug.«
    Sieht ganz so aus. Aber Kreditkarten sind bloß ein Stück Plastik, bis du sie benutzt. So funktionieren

Weitere Kostenlose Bücher