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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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niemand wissen darf. Die dürfen nicht denken, dass ich …
so
bin.«
    Mahtab lacht. »Bist du blöd oder hast einen Hang zum Drama? Du wirst nicht aufgehängt. Im Iran gibt es jede Menge Schwule. Schwulsein ist okay. Du musst dir nur vorher eine Frau suchen.« Dann fällt ihr ein, dass er genau das mit ihr vorhatte, und sie versucht, sich loszureißen, Richtung Treppe.
    Denn, Khanom Omidi, genau das tun alle persischen Männer, wenn sie fürchten, ihre Männlichkeit könnte infrage gestellt werden. Sie suchen sich eine Frau. Sie schützen ihr Geheimnis. Sie lassen die Beweise verschwinden. Das ist der Teil, bei dem ich am meisten mit meiner Schwester mitfühle. Wir tappen in die gleichen Fallen. Und genau wie ich begeht Mahtab den Fehler, das Tier zu reizen. Durch den Nebel aus Demütigung und Schock und einen Ozean des Schmerzes hindurch schleicht sich ein spöttisches Lächeln auf Mahtabs Lippen, und sie verhöhnt ihn, obwohl sie am liebsten in seine Arme fallen möchte und weinen und weinen, um herauszufinden, ob ihn das abstößt. »Ich frage mich, ob man die Sittenpolizei in Teheran telefonisch erreichen kann.«
    Vielleicht will er ihr jetzt wehtun. Vielleicht will er eine ehemalige
dalak
anheuern, die seine Männlichkeit für ihn unter Beweis stellt. Aber sie sind in Amerika, und in Amerika kommen Männer mit so brutalen Methoden nicht ungestraft davon. Dort ist Geld die einzige Waffe, deren Besitz sich lohnt, und diese oder jene Sorte Mensch zu begehren ist keine so beängstigende Angelegenheit.
    Als Cameron nicht antwortet, schreit sie: »Lass mich los«, und befreit sich aus seinem Griff. Sie weint nicht – das tut sie erst später. Sie geht einfach weg und wundert sich über das unendliche Ego persischer Männer … oder vielleicht aller Männer. Denn im Augenblick sorgt sich Cameron mehr als alles andere um seinen Ruf. Er befürchtet, dass sie sein Geheimnis in einen widerhallenden, riesigen Hamam voll zorniger Frauen hineinrufen wird, die sich dort versammelt haben, um zu bezeugen, dass er sich wiederholt geweigert hat, die Affäre zu vollziehen. Und warum? Weil er …
so
ist.
    Und jetzt kommt der Moment, in dem Cameron, der arme Arier, Mahtabs nächste Einwanderersorge behebt und zu einer von diesen dreißigminütigen Anekdoten wird, die ihr vollkommenes Fernsehleben ausmachen. In der darauffolgenden Woche ignoriert Mahtab Camerons Anrufe, obwohl er es mehrmals täglich versucht. Er tut es nicht, um ihre Beziehung wiederaufleben zu lassen, oder auch nur ihre Freundschaft. Er ruft an, um ihr Schweigen zu erbetteln. Ja, Mahtab hat vor, den Mund zu halten, aber sagt sie ihm das? Sie würde nie auch nur in Erwägung ziehen, ihm diese Genugtuung zu geben. Bis sie eines Tages von der Arbeit nach Hause kommt und eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hat.
    »Mahtab, ich bin’s. Hör mal, ich weiß, du willst nicht mit mir reden. Aber ich kann nicht in den Iran gehen, ohne sicher zu sein. Ich hab mir was überlegt, das dich davon befreien wird, mir irgendwelche Gefallen zu tun. Du hast doch gesagt, du kannst deinen Job nicht ausstehen. Okay, was hältst du von folgendem Vorschlag? Du kündigst, und ich lass eine Kopie meiner Kreditkarte für dich ausstellen.« Weißt du, Khanom Omidi, das ist ein tolles Angebot. Es bedeutet Gratisgeld. »Schau in deinen Briefkasten. Keiner wird davon erfahren. Du kannst sie benutzen, solange du mir diesen einen Gefallen tust, auch nach dem Examen noch. Wie findest du das? Ruf mich an.«
    Mahtab lacht. Sie löscht die Nachricht und geht ins Bett, kann über seine Arroganz, seine fehlende Reue nur den Kopf schütteln. Sie gibt sich alle Mühe, ihn zu hassen. Warum sagt er nichts über ihre verlorene gemeinsame Liebe, über die Zukunft, die sie sich mit ihm vorgestellt hat? Warum gesteht er nicht, dass auch er sie liebt? Es ist zwei Uhr morgens, und sie muss um acht im Kino sein, um Quittungen zu sortieren, aber sie kann nicht einschlafen. Sie streckt sich auf der Matratze aus, ihre Arme reichen bis zum Bettrand, wie die obere Hälfte eines Seesterns, sie redet sich ein, dass das, was Cameron ihr gesagt hat, nicht wahr ist – dass sie einen Weg finden kann, ihn zu behalten. Sie vergräbt das Gesicht im Kissen und denkt, dass sie ein solches Angebot niemals annehmen würde.
    Es ist eine seltsame Sache mit dem Ruf der Männer. Sie sind bereit, ihr ganzes Vermögen dafür herzugeben. Findest du, dass es falsch ist, es zu nehmen, Khanom Omidi? Eines Tages wird mein Geld aus der

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