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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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dem zerwühlten blauen Bettzeug, sitzt eine magere Schönheit, blond, höchstens achtzehn, rutscht wie ein Kind hin und her. Aber er ist kein Kind. Er ist ein Mann, halb angezogen, und eindeutig zu jung und verwirrt, um je eine derartige Komplikation erlebt zu haben.
    Obwohl Mahtab zunächst verständnislos lächelt, ist Cameron viel zu intelligent, um den Versuch zu machen, seinen Fehltritt zu kaschieren, deshalb hat er schon damit begonnen, hastige Schadensbegrenzung zu betreiben. Ah, der Schaden! Er fährt sich mit der Hand durchs Haar. Wie viele Probleme wird das nach sich ziehen? Seine Freundin ist er auf jeden Fall los. Aber was noch? Vergiss nicht, Khanom Omidi, dieser arme Arier will im Iran arbeiten. Ah, was für eine schlimme Sache.
    »Armer Junge«, sagt Khanom Omidi. »Mahtab wird drüber wegkommen. Aber er wird so große Probleme haben.«
    Na ja, vielleicht experimentiert er nur, wie Ponneh mit ihrer Freundin Farnaz – tu nicht so schockiert; ich weiß, sie hat es dir erzählt –, vielleicht ist es aber auch die Wahrheit, und er wird weiter dafür leiden müssen. Mahtab steht da, noch immer unsicher, und sieht Cameron mit ihren müden, schwarz umrandeten Augen an, die sich jetzt fassungslos weiten. Ist der Fremde ein Student? Ein Lieferjunge? Allmählich drängen sich ihr die Einzelheiten auf, überdecken das größere Ganze. Der rotgesichtige Junge, der sich nervös auf dem Bett windet. Ein offener Knopf an seiner Jeans, den er in der Eile übersehen hat. Der Moschusgeruch, der tief im Zimmer hängt. Verstreut herumliegende Kleidungsstücke. Kondome auf der Kommode.
    Als Cameron die Wahrheit in Mahtabs Augen widergespiegelt sieht, entschuldigt er sich nicht. Er zieht sie ins Wohnzimmer und schließt die Tür. Mit zu ruhiger Stimme erklärt er seiner Freundin, dass ihre Romanze Wunschdenken war und aus und vorbei ist.
    »Ich versteh das nicht«, sagt sie. »Magst du jetzt Männer?«
    »Nicht
jetzt
 …« Er blickt gekränkt und senkt den Blick. »Ich war schon immer … ich
bin
 … ja.«
    »Aber wir waren …« Mahtab will die Abende auf seiner Couch erwähnen, doch angesichts der Szene, die sich jetzt in ihr Gedächtnis gegraben hat, wirken ihre eigenen Knutschereien mit ihm lachhaft und unschuldig – ein paar Küsse hier und da, eine vorwitzige Hand, die weiß, wo genau sie
nicht
hindarf. Und so konzentriert sie sich auf etwas anderes. Etwas, das einen neuen, intensiveren Hass auf ihn auslöst. »Du wolltest, dass ich deine Eltern kennenlerne. Du wolltest, dass ich einen Hidschab trage!« Plötzlich ist sein Verbrechen hundertmal größer.
    »Ach, komm schon, war das wirklich so schlimm?«, sagt er. »Immerhin ist für dich ein hübsches Geschenk dabei rausgesprungen.«
    Irgendwo in ihr erwacht ein wilder Dämon, beäugt seine Gliedmaßen und überlegt, welche er zuerst abreißen soll.
    »Du bist so ein …!« Ich kann ihren Satz nicht vollenden, weil ich die besten englischen Schimpfwörter nicht kenne, aber du kannst es dir vorstellen. Sie tobt und wettert, ist wütend auf dieses schuldbeladene Stück Seide.
    Er fängt an, um Verzeihung zu betteln, nennt sie seine beste Freundin. »Bitte, versteh das doch«, sagt er. »Ich liebe dich wirklich, aber ich steh unter einem unheimlichen Druck. Du hast meinen Vater kennengelernt. Ich
kann
es ihnen nicht sagen …«
    Der Dämon sucht nach etwas Kurkuma, um seine Körperteile zu marinieren, wenn das alles vorbei ist.
    »Wieso nicht?«, will Mahtab wissen. In einem blitzartigen ruhigen Moment fallen ihr einzelne Szenen des Abendessens ein, und sie fügt hinzu: »Dir ist doch wohl klar, dass dein Vater schon einen Verdacht hat?«
    »Hat er nicht!« Cameron fährt sich wieder mit der Hand durchs Haar, die Augen auf ihre Stirn gerichtet. »Und ich will im Iran arbeiten, das weißt du. Mahtab, da wird man für so was
aufgehängt

    »Ja, das stimmt.« Khanom Omidi schüttelt den Kopf. »Unsere besten Zeiten sind vorüber.«
    Aber Mahtab bemerkt die Angst in seiner Stimme gar nicht. Sie hält nicht inne, um ihn dafür zu bewundern, dass er trotz der Gefahren in ihr gemeinsames Heimatland zurückwill. Sie hört nur die wütenden Schreie, die tief aus ihrem Inneren dringen. Sie verflucht ihn und stürmt nach draußen.
    Cameron folgt ihr. »Mahtab, du darfst niemandem davon erzählen«, sagt er und packt ihren Arm. »Du musst das für dich behalten.« Diese letzte Berührung lässt ihre Brust pochen.
    »Warum sollte ich das tun?«
    »Warum wohl! Weil es

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