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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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überwinden können – nämlich die bange Frage, ob man sich in einem fremden Land einen Namen machen kann. Zwei Wochen später wird die Titelseite der
New York Times
eine bittere Wahrheit in die Welt hineinrufen:
    DIE REVOLUTION IST
NICHT
VORBEI !
    von Mahtab Hafezi, Harvard-Abschlussjahrgang 1992
    Oh, Mahtab-dschun. Das hast du sehr gut gemacht. Wirklich sehr, sehr gut. Du hast mich und unsere Eltern stolz gemacht. Kannst du dir vorstellen, was Maman sagen würde, wenn sie deinen Namen fett in fingerfärbender Druckerschwärze und über die Ozeane hinweg verbreitet sehen könnte?
    Um zu feiern, gehen Mahtab und ihre Freundinnen in einem richtigen New Yorker Nachtklub tanzen, wo Lichter blitzen und Cocktails fließen. Sie tanzen allein, ohne männliche Begleitung. Sie hüpfen in ihren kurzen Röcken und glitzernden Tops auf und ab, so wie in den schönsten Musikvideos, und Mahtab ist der Grund für ihre Freude, ihr innerstes Zentrum. Einstweilen ist sie mit dem armen Arier fertig. Sie braucht keinen Partner. Der Klub ist voll von Männern und Frauen, aber er ist anders als die Klubs, an denen sie in Harvard vorbeispazierte, wo Jungen spärlich bekleidete Frauen an der Tür taxierten – wo ein weißer Schal zum Turban mutierte und sie vertrieb. Hier hat sie das Sagen, und es lauern keine
pasdars
in dunklen Gassen.
    Wenn ich sie mir da vorstelle, denke ich an die Szene im
Club der toten Dichter
, in der die Jungen nachts tanzen, und zwar ganz anders als auf den artigen Anzug-und-Krawatte-Veranstaltungen. Ihr Tanz ist urwüchsig, ganz ähnlich wie bei den Männern in Cheshmeh. Sie tanzen, um sich zu enthemmen, um zu imponieren, Ekstase auszudrücken, einen Wahnsinn und eine Freude, die zu wild für das Licht des Tages ist. Mahtab ist jetzt ein wildes Wesen, eine freie Kreatur. Sie kann tun, was sie will, und Mullahs und
pasdars
können ihr den Buckel runterrutschen.
    Sie schickt Cameron gute Wünsche, ihrem Freund, der bald in die Heimat reist. Vielleicht wird sie eines Tages an seiner Stelle einen amerikanischen Mann lieben. Auch wenn amerikanische Männer nicht tanzen, sind sie doch gut darin, Frauen wie Mahtab zu verstehen. Und anscheinend brüsten sie sich damit, keine eigenen Bedürfnisse zu haben. Glaubst du, das trifft auf alle zu oder bloß auf die Männer in Filmen? Iranische Männer sind voller eigener kruder, brodelnder Hoffnungen. Sie fordern von uns, dass wir für sie sorgen, sie retten – ohne dass unser Name auch nur im Abspann erwähnt würde. Manchmal wünschte ich, dass einer von ihnen sagte: »Du, Saba Hafezi, imponierst mir.« Das würden sie nie tun, nicht mal der Schwächste unter ihnen. Wir Frauen sind zu stark geworden, unerschütterlich und mit Knoblauchfäusten, und wir machen ihnen Angst. Aber wenn einer von ihnen ein Liebeslied für mich schreiben würde, wäre es nicht voll von altertümlicher Dramatik. Es würde nicht vom Sterben oder von ewigen Dingen handeln. Es würde einfach nur feststellen: »Saba-dschun, das hast du gut gemacht.«
    Bald werde ich genug Mut aufbringen, mich von hier loszureißen, und vielleicht bin ich dann tapfer genug, das Videoband in meinem Gepäck zu verstecken. Ich hab den Teheraner gebeten, es aus dem Iran zu schmuggeln, es an jemand Bedeutenden zu schicken, einen Journalisten oder einen Professor, vielleicht einen in Harvard. Aber er hat abgelehnt und gesagt, das wäre zu riskant. Es ist beängstigend, ein Zuhause zu verlassen.
    Ein Herz sagt mir, ich soll gehen.
    Ein anderes sagt mir, ich soll bleiben.
    Aber ich werde es versuchen. Versprochen … weil du, liebe Schwester, mir imponierst.

Kapitel Vierzehn
    Sommer 1991
    S aba sitzt in einem Sessel am Fenster des Gästezimmers, in dem sie jetzt alle ihre Sachen aufbewahrt, sich ihre Kassetten anhört und auf einem kleinen Fernseher, den sie hier aufgestellt hat, Filme guckt. Auf dem Schoß hält sie ein Glas mit Abbas’ Medizin, die sie geistesabwesend mit Sauerkirschensirup verrührt. Er kann schlecht Tabletten schlucken, deshalb nimmt er sein Herzmedikament lieber so ein, obwohl Saba das unklug findet. Jedes Mal, wenn er die Mischung getrunken hat, füllt sie das Glas mit Wasser und lässt ihn auch das trinken, um das letzte Körnchen runterzuspülen. Heute rührt sie das Getränk auf einem Tablett in ihrem Zimmer anstatt in der Küche, damit sie nicht mit ihm reden muss, wenn er nach Hause kommt. In den letzten Monaten hat er ziemlich abgebaut, ist jetzt fast blind, und seine offensichtliche Schwäche

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