Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
Vom Netzwerk:
hat sie ihm gegenüber milder gestimmt, obgleich sie sich weigert, ihm zu verzeihen. In wenigen Minuten wird er auf seinem Weg zum Bett bei ihr anklopfen und um seine Medizin bitten. Das machen sie immer so.
    Saba blickt hinaus in den Hof, wo die Rosen, die Ponneh und Reza im Frühling für sie gepflanzt haben, den Garten mit duftendem gelbem Blütenstaub bepudern, und vergisst die Arbeit ihrer Hände. Sie starrt aus dem Fenster. Rührt. Starrt. Rührt. Im Hintergrund läuft ihr amerikanischer Lieblingsfilm, erzählt eine Geschichte, die sie fast auswendig kann – ein Paar beginnt seine Romanze in einem italienischen Restaurant. Bald wird sie neue Videobänder brauchen, neue Dialoge, neue Wörter, neue Einblicke in das amerikanische Leben. Derzeit bringt ihr nur Ablenkung Trost.
    Sie steckt ein paar Kirschen in den Kirschentkerner, entfernt die Kerne mit einem kleinen Ruck aus dem Handgelenk und wirft die Früchte in ihr eigenes, medikamentfreies Glas. Sie denkt an die Zeit zurück, als sie und Mahtab gern den Kirschentkerner stibitzten und sich dann, ausgestattet mit einem Stein und einer Schale Obst, in ihrem Zimmer versteckten, wo sie Kirschen entkernten, unreife Mandeln mit Salz aßen und Aprikosensteine zerschlugen, um an die Kerne zu kommen. Manchmal verwöhnte ihr Vater sie sogar mit einer Banane, ein Luxus nach der Revolution.
    Das
sharbat
ist kalt und süß und schwappt ihr rot gegen Zähne und Zunge. Das Eis klimpert im Glas, als sie es mit drei Zügen leert, deshalb hört sie das Klopfen an der Tür nicht. Abbas kommt zaghaft herein, wie er das seit Monaten jeden Abend tut. Er hat ein in Zeitungspapier eingeschlagenes Päckchen dabei. Es riecht nach Fleisch und suppt durch das Papier. Saba fragt nicht, was er da hat, denn selbst die beiläufigen Gespräche ihres ersten Jahres gibt es jetzt nicht mehr. Er nimmt das Glas, dankt ihr und trinkt zerstreut ein paar Schlucke. Als er sich zum Gehen wendet, murmelt er: »Morgen vielleicht
ab-gusht
.« Lammeintopf. Saba beschließt, dass ihr eher nach Hähnchen ist, also wird sie Hähnchen machen.
    »Trink es ganz aus«, sagt sie. Er gehorcht. Sie nimmt das Glas und füllt es mit Wasser aus einem Krug. Auch das trinkt er, ehe er hinausschleicht.
    Eine halbe Stunde später will sie ins Bad. Im Flur begegnet sie Abbas, der noch immer sein Glas in der Hand hält. Merkt er eigentlich, wie viel Zeit er mit dieser Rumschlurferei vertut? Sie verzieht das Gesicht, abgestoßen von seinem Alter, von seinem schwachen Geist, von allem, was ihren Mann ausmacht.
    Sie sieht ihm in die Augen, wässrig, grau, gerahmt von einem Netz aus schlaffer Haut, der hoffnungsvolle Blick eines kleinen Kindes, das sich fragt, ob sein unartiges Verhalten vergeben und vergessen ist. Sie schüttelt den Kopf über diesen jämmerlichen Greis, den sie geheiratet hat. Sein dicker Bauch hebt und senkt sich in dem weißen Unterhemd und der überweiten Pyjamahose. »Wo willst du hin?«, fragt er, schwer atmend und mit flehenden Augen. »Liest du heute Abend?« Sie weiß, was er will, weiß, dieser klägliche Alte möchte, dass sie vergisst, er möchte sie wieder im Arm halten, die Wärme menschlicher Nähe spüren. Seit dem
dalak
-Tag schleicht er durchs Haus, stets hoffend, stumm bettelnd. Irgendwo in ihrem Innern empfindet sie Mitleid, wie ein Stück Kohle, an dem der erste Anflug von Orange und Rot aufglimmt, aber ihr Zorn ist eine Sturzflut und löscht die winzige Flamme.
    Abbas senkt den Blick. Sie sieht, dass das, was sie ihm Tag für Tag antut, unendlich viel schlimmer ist als jedes Gerichtsurteil. Vielleicht sehnt er sich nach einer Strafe, damit sein Elend ein Ende hat. Aber diese Entlastung kann sie ihm nicht geben, diesem Mann, der sie ein echtes Leben gekostet hat. Saba erwidert kalt: »Geh schlafen, Abbas. Ich will allein lesen.«
    Er gibt ihr das leere Glas. »Ja … Schlaf wird mir guttun.« Er sieht sie schüchtern an. »Soll ich morgen frisches Obst kaufen? Mir ist aufgefallen, dass du in diesem Sommer viel Obst isst … sehr gesund.«
    »Ich kann mir selbst Obst kaufen.«
    »Soll ich dir etwas Geld geben? Vielleicht für ein paar neue Bücher?«
    »Ich hab ein Bankkonto«, sagt sie. »Schon vergessen?« Agha Hafezi hat diese Bedingung für seine Tochter in den Ehevertrag setzen lassen.
    Abbas nickt. »Weißt du, ich hab mir gedacht, du hättest vielleicht gern mal ein paar von deinen jungen Freunden zum Abendessen hier. Falls du das möchtest … ähm … ich wäre ein guter

Weitere Kostenlose Bücher