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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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Reza und Saba wechseln einen Blick, als Gäste sie an ihre ungehörigen Anfänge erinnern, nämlich an den Tag, als Kasem sie hinter dem Haus beim Küssen erwischte. Das Fest verlagert sich in den Garten, wo die Rosen und Hyazinthen gerade erblühen. Manche frühen Blütenblätter sind der Rasenfläche entschlüpft und liegen verstreut auf dem betonierten Weg und im Brunnen. Von den Orangenbäumen schweben duftende Blüten als unverkennbare Frühlingsboten auf die Gäste herab.
    Später, als die Sonne untergeht und Nouruz, der erste Tag des Jahres, in vollem Gange ist, werden Saiteninstrumente gezupft. Reza denkt bestimmt an seinen abwesenden Vater, der ihm die Liebe zur Musik nahebrachte und ihn lehrte, wie man
setar
und
dutar
und
saz
spielt. Da Saba den Suri-Mittwoch liebt, einen Festtag, der vor einigen Tagen begangen wurde, als sie noch mitten in den Hochzeitsvorbereitungen steckte, hat sie darauf bestanden, dass das traditionelle Freudenfeuer stattdessen an ihrem Hochzeitstag entzündet wird. Sie springt Hand in Hand mit Reza über die Flammen, die in einem Ring aus Steinen lodern, und sengt sich dabei den Saum ihres Kleides an, was aber niemandem auffällt, außer dem Jungen, der die Glut mit seinen Turnschuhen austritt. Sie klatschen und singen laut und sinken erschöpft auf die Bänke entlang des Laubengangs. Auf der ganzen Straße leuchten die Fenster orange und besprenkeln den Nachthimmel, während andere Familien das neue Jahr mit Gesang und Tanz willkommen heißen. Eine Nacht lang darf gefahrlos gefeiert werden, und eine Nacht lang träumt Saba nicht davon, wo ihre Mutter und Schwester wohl sein mögen.

Nouruz
    Khanom Basir
    D as ist die Ungerechtigkeit, die mir das Herz bricht, weil ich Liebe erkenne, wenn ich sie sehe.
    Neunzehnhundertachtzig war das Jahr, in dem Reza Ponneh in einer Gasse hinter dem Haus der Hafezis küsste. Die Zwillinge sahen es. Alle sahen es. Es war Suri-Mittwoch, der in ganz Iran in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch vor Frühlingsanfang gefeiert wird. In dieser Nacht entzünden die Menschen nach alter zoroastrischer Sitte große Freudenfeuer und springen darüber. Sie singen das Feuer an: »Dein Rot für mich, mein Gelb für dich«, um damit all ihre Krankheiten und Schwächen in die Flammen zu werfen und dafür Kraft, Leidenschaft und Erneuerung zu bekommen. Es ist allgemein bekannt, dass Beschwörungen und Zaubersprüche während dieser Zeremonie besonders stark wirken. In jener Nacht hat mein Reza wohl gedacht, dass bei dem ganzen Trubel niemand mitkriegen würde, wie er Ponneh hinter dem Haus wieder und wieder küsste. Aber wir haben es gesehen.
    Die restliche Zeit weigerten sich diese herzlosen Schwestern, mit Ponneh zu spielen. Sie trugen Decken und Kissen nach draußen unter ein Moskitonetz, und obwohl es kalt war, blieben sie dort und redeten schlecht über sie. Liebte Reza sie? Liebte sie ihn? Was bedeutete das wohl für die beiden (die selbstsüchtigen Mädchen), für Sabas Pläne, Reza zu heiraten, für Mahtabs Freundschaft mit Ponneh?
    »Sie ist nicht übers Feuer gesprungen«, sagte Mahtab. »Vielleicht wird sie krank.«
    »Maman sagt, das ist alles Quatsch«, entgegnete Saba. »Hör auf, jedes Hirngespinst zu glauben, das die Leute erzählen.«
    »Hör auf, alles zu glauben, was Maman erzählt«, konterte Mahtab. »Ich finde, du solltest dir einfach einen anderen suchen. Reza ist es nicht wert.«
    An Nouruz, dem ersten Tag des neuen Jahres, kamen alle Familien zu einer Feier bei den Hafezis zusammen. Eine noch immer deprimierte Bahareh spazierte in ihrem neuen Kleid herum, und auch die beiden Mädchen trugen neue Kleider und hatten die Haare mit schicken Spangen nach hinten gesteckt. Ponnehs Familie hatte kein Geld für neue Kleider. Außer den Hafezis hatte das niemand. Aber denen, mit ihrem Mode-
bazi
, war das egal. Und Ponneh wohl auch, wenn Sie mich fragen. Sie hatte dieses ach so weiße Gesicht und diese tiefroten Lippen und diese Augen, die dauernd mit irgendwelchen Nusssorten verglichen wurden. »Ach, diese Mandelaugen sprechen für eine frühe Hochzeit.« – »Nein, nein. Sie sind wie Haselnüsse, so rund.«
    Während des Festes beobachteten die Mädchen Reza und Ponneh, um zu sehen, ob der Kuss nur ein Ausrutscher gewesen war oder ob die beiden sich verlobt hatten. Und, ja, mein Reza spielte an jenem Tag tatsächlich mit Ponneh. Und jetzt kommt der Teil, bei dem Saba und Mahtab mich für ihre Zwecke ausnutzten. Sie hörten, wie Ponneh über einen

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