Ein Teelöffel Land und Meer
neue Mahtab werden würde, ihre Bindung an den Iran, ihr Grund zu bleiben. Jetzt sind die schwarz gekleideten Frauen wieder da und stehen drohend über ihr und in den Schatten, die die Apparaturen über den Boden und die Wände der Praxis werfen.
»Nun, Khanom«, sagt die junge Ärztin, »die Aussichten auf ein Baby sind nicht besonders gut. Sie haben eine Infektion, die lange Zeit unbemerkt geblieben ist. Sie kann mit Antibiotika behandelt werden, sodass sie schwanger werden könnten, aber Ihre Gebärmutter ist stark beschädigt und vernarbt. Ich glaube nicht, dass sie eine Schwangerschaft lange halten kann, auch dann nicht, wenn sie operiert würde.« Saba schweift in Gedanken ab. Sie hört nicht mehr zu, erlaubt den dunklen Gestalten, sie an Orte zu tragen, die sie sich seit Monaten nicht mehr aufzusuchen getraut hat, zurück zu jenem Frühlingstag vor fast zwei Jahren, sie kämpfend auf dem Bett, die groben Instrumente, die wochenlangen Blutungen, gefolgt von kurzen Erholungsphasen. Dann der Tag in der Hütte, als Reza erstmals das Blut bemerkte – das war der Tag, an dem sie begann, sich Hoffnungen auf ein Baby zu machen, trotz aller Anzeichen, weil sie es sich so sehr wünschte. Etwas in ihr tobt. Irgendwo neben ihr stellt die junge Ärztin weiter Fragen. Wie schwer ist die Blutung? Wie oft tritt sie auf? Hat sie gelegentlich Fieber? Ist sie sicher, nie eine Abtreibung versucht zu haben? Was hat sie gemacht? Hat sie mit schmutzigen Männern geschlafen? Vielleicht sollte man noch ein paar Tests machen, aber ehrlich gesagt, eigentlich ist das nicht nötig.
»Ich verschreibe Ihnen ein Empfängnisverhütungsmittel«, sagt sie. »Und, Khanom Hafezi, Sie sollten die Einnahme nie unterbrechen.«
»Warum?«, fragt Saba. Sie klingt jetzt jung und naiv, und die Ärztin nimmt ihre Hand. Sie hat ganz schwache Überreste von babyrosa Nagellack auf dem Daumen, und Saba fragt sich zum ersten Mal, wie diese Frau außerhalb der Praxis lebt. Obwohl, wenn sie einen Moment nachdenkt, weiß sie es schon. Die junge Ärztin ist hier, weil sie keine andere Wahl hat. Eine hervorragende Studentin darf nur ein gewisses Maß an Fähigkeiten zeigen, ehe sie gezwungen wird, Gynäkologin zu werden. Diese junge Frau sieht eher aus wie eine forschende Wissenschaftlerin oder eine Geschäftsfrau oder eine frustrierte Dichterin.
»Weil«, sagt die Ärztin, und ihre Stimme klingt so weich wie die eines Teenagers, »niemand tote Babys gebären sollte, Khanom. Das ist nicht richtig.«
* * *
»Können wir zu Babas Haus gehen?«, fragt Saba eines Tages, als Reza fast eingeschlafen ist und sie die Konturen seines Rückens mit rot lackierten Fingerspitzen nachzeichnet. »Dann laden wir Ponneh ein.«
Als eine völlig aufgelöste Saba in der Woche zuvor aus der Praxis ihrer Ärztin in Rasht anrief, wies Reza sie an, nicht Auto zu fahren. Er nahm den Bus und kam zwei Stunden später an, um sie nach Hause zu bringen. Die mädchenhafte Gynäkologin saß mit Saba zusammen in einem Teehaus nicht weit von ihrer Praxis, und sie erzählten sich Geschichten und sprachen über ihre Lieblingsbücher. Als die Ärztin Saba ihre private Telefonnummer geben wollte, schüttelte die den Kopf und machte sich erst später klar, dass sie unhö f lich gewesen war. Die Frau hatte ihr keine Hilfsdienste angeboten, sondern ihre Freundschaft. Auf der Rückfahrt im Auto sagte Saba sich, dass es so besser war. Vielleicht ist sie nächsten Monat oder nächstes Jahr nicht mehr hier. Reza gab ihr einen Kuss auf die Wange, und sie dachte nicht mehr an Babys. Er versprach, dass glücklichere Zeiten vor ihnen lagen.
Jetzt sind sie mit Ponneh in der Vorratskammer ihres Vaters. Sie schieben die verschiedenen Kartons mit nutzlosen Dingen zur Seite – Fliegenklatschen, Batterien, die Artikel, die man während des Krieges mitkaufen musste, wenn man Milch und Eier haben wollte – und schaffen um den Abfluss herum Platz. Sie legen ihre Oberbekleidung ab und setzen sich im Schneidersitz so, dass ein Dreieck entsteht, Knie an Knie, Köpfe zueinander gebeugt, flüsternd wie Jugendliche, die einem Fest von Erwachsenen entwischt sind.
Es ist ein Wunder, wie sehr diese kleine Kammer die Atmosphäre zwischen ihnen verändert. Jetzt sind sie wieder in einer vergangenen Zeit, einer Zeit vor Hochzeiten und Hinrichtungen, Babys und Witwenschaft, bevor sie alle Zeugen des Todes wurden – als sie einfach nur drei spielende Kinder waren.
Achtzehn Jahre alt, heimlich rauchend, versteckt vor der
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