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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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Welt.
    Sieben Jahre alt, ein einziges Wirrwarr von Armen und Beinen draußen im Freien.
    Jetzt, mit zweiundzwanzig, trinken sie schnell und achtlos aus einer Flasche
aragh
, mit dem Rücken zur Tür. Innerhalb einer Stunde ist die Flasche leer, und sie haben ihre seltsame gemeinsame Geschichte vergessen. Sie haben viele Dinge vergessen, und nichts ist unaussprechlich.
    Sie reden über den Tag, als Ponneh zusammengeschlagen wurde. Sie sprechen ohne Zurückhaltung oder Verlegenheit über Sabas erste Ehe. Die ist jetzt bloß noch eine Tatsache, für die sich keiner von ihnen mehr interessiert. Einmal reden sie sogar über Rezas Ausbildung und wie glücklich er sich schätzen kann, eine reiche Frau zu haben. In ihrem betrunkenen Zustand findet das keiner von ihnen anstößig, und sie lachen über die Vorstellung von Saba als Wohltäterin. Und dann kommen sie zu dem Tag, als Reza bei Saba zu Hause auftauchte. Das ist der Moment des Gesprächs, an den Saba sich am deutlichsten erinnert, der Augenblick, in dem sie bemerkt, wie etwas zwischen ihren Freunden passiert – wie ein Zeichen von Reza ausgeht und, obwohl ihre Knie sich berühren, an ihr vorbei direkt bei Ponneh landet. Ein Blick wie eine Entschuldigung.
    Es ist nur ein Moment, aber Saba wird sich immer daran erinnern, dass das der Augenblick war, in dem sie sich am stärksten wie »die andere« fühlte. Es ist keine vage Empfindung, sondern etwas Klares und Greifbares und Niederschmetterndes. Nicht Ponneh, sondern
sie
ist die Dritte, der entfernteste Winkel des Dreiecks, diejenige, die nicht dazugehört, eine Randfigur im Film der beiden anderen. Und bei der verzweifelten Suche nach ihrem eigenen Platz fühlt sie sich Jahrzehnte älter, denn sie begreift, dass sie tatsächlich eine Rolle hat, dass Reza und Ponneh zusammengehören und sie die Trauzeugin ist. Die Ernährerin. Die Mutter.
    Zu was ist sie hier noch gut, wenn sie nicht mal Kinder mit Reza haben kann?
    Sie denkt zurück an die Ermahnung ihres Vaters, ihre Unabhängigkeit gut zu nutzen. Hat sie das getan? Sie könnte längst in Amerika sein oder sogar ihre Mutter gefunden haben. Sie hätte bei ihren Verwandten im Exil Nachforschungen anstellen können, hätte Gefängnisunterlagen durchforsten können, um sich zu vergewissern, dass ihre Mutter niemals dort war. Es gibt so vieles, was sie gar nicht erst versucht hat.
    Sie hören ein Geräusch von irgendwo weit hinten im Haus, und Ponneh steht auf, um zu gehen. Sie seufzt und bindet sich ihr Kopftuch um. Ehe sie aus der Kammer schlüpft, sagt sie: »Das war richtig schön.«
    Aber Saba ist bereits ganz woanders. Bereits auf einem Flug nach Amerika. Es wird einem so vieles klar, wenn man betrunken ist und wirklich hinschauen kann. Sie erinnert sich an jenen Tag in der Gasse neben dem Postamt in Rasht, als sie elf war und Reza eine Musikkassette geben wollte. Ponneh sagte ihm, dass er so ein Geschenk nicht von ihr annehmen konnte. Das war ein Beweis für den Stolz der beiden, ihre gemeinsame dör f liche Herkunft. Die zwei waren in einem Ort verwurzelt, zu dem Saba niemals gehören würde, ganz gleich, ob sie mit Reza Kinder bekäme oder nicht. Wie hatte sie nur glauben können, dass Geld und Gesellschaftsschicht nie zwischen ihnen stehen würden? Wie hatte sie glauben können, dass sie ein gemeinsames Leben mit jemandem aufbauen konnte, das nur auf der Liebe zu ausländischer Musik beruhte? Während sie den Blick beobachtet, mit dem ihr Mann ihre beste Freundin betrachtet, leckt sich Saba über die trockenen Lippen und weiß, dass sie ihr ganzes Leben damit verbracht hat, Fehler zu begehen.
    Ja, sie hat es geschafft, wieder Teil eines Paares zu werden, aber ist es das richtige Paar, oder ist es für sie beide bloß ein Ersatz? Obwohl Reza bewiesen hat, dass er sie liebt, ihr treu ergeben ist und den festen Vorsatz hat, glücklich zu sein, sehnt er sich immer noch nach Ponneh, genau wie Saba sich nach Mahtab sehnt.
    Den ganzen nächsten Tag bleibt sie im Bett und denkt darüber nach, was sie getan hat. Sie denkt an ihren beschädigten Körper, an die Basidsch-Frauen, an den Rat ihres Vaters und verflucht sich selbst, weil sie so töricht war, so feige, das, was sie mit Reza erlebt hat, mit der Art von Liebe zu verwechseln, die sie aus zahllosen Büchern und Filmen kannte. Wie kann sie das mit
Casablanca
vergleichen oder mit
Romeo und Julia
oder auch nur mit den Paaren in den Dreißig-Minuten-Komödien, die sich beim Pastaessen in einem italienischen Restaurant

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