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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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»Verrücktes
bazi
«, und arbeitet weiter.
    * * *
    Die Praxis ihrer Ärztin in Rasht hat sich in den letzten zehn Jahren nicht verändert. Grüner Flauschteppich. Hellrote Drehstühle aus Plastik, die bei der leisesten Bewegung quietschen. Billige Holztäfelung in einem unnatürlichen Karamellton, die sich unten und oben von der Wand löst. Dicke Neonlampen, die zu dunkel und gleichzeitig zu grell sind. Ein Telefon mit Wählscheibe neben einem relativ neuen IBM -Computer, der am äußersten Rand des Schreibtischs steht und versucht, nicht fehl am Platze zu wirken.
    »Khanom Hafezi«, ruft die stämmige Arzthelferin in weißem Manteau und mit schwarzem Kopftuch. Saba braucht einen Moment, bis sie begreift, dass sie aufgerufen wurde. Sie folgt der Frau in einen kleinen Raum mit einem flachen Bett, das mit einem steril aussehenden weißen Laken bezogen ist. Sie war schon mal hier. Genauer gesagt, zweimal in den letzten beiden Wochen, weil ihre Ärztin, eine sehr junge Frau mit Trotzki-Brille und leichtem Oberlippenbart, die vermutlich gerade erst Examen gemacht hat, gern »jede Kleinigkeit« genau überprüft. Das sind ihre eigenen Worte, und sie klingen aus ihrem Mund, als wollte sie über die fehlende Begeisterung, die sie für ihren Beruf an den Tag legt, hinwegtäuschen.
    Im Iran ist Medizin die angesehenste Berufswahl. Wenn Saba studiert hätte, wäre sie vielleicht auch Ärztin geworden, aber sie hat ja an ihrem Traum vom amerikanischen Journalismus festgehalten. Vielleicht tut sie das noch immer.
Mein Weg und dein Weg in dieser Welt sind so lang
, lautet eine einprägsame Zeile aus dem alten Lied »Sultan der Herzen«.
    Als die Ärztin hereinkommt, sieht Saba, dass der Oberlippenbart verschwunden ist.
Bestimmt ist sie jetzt verlobt
, denkt Saba,
oder verliebt
. Dann bemerkt sie den nervösen Gesichtsausdruck und den unsteten Blick, und ihre Gedanken wenden sich ihrer eigenen Gesundheit zu.
    »Soll ich mir ein Untersuchungshemd anziehen?«, fragt Saba.
    »Nicht nötig«, sagt die Ärztin. »Aber vielen Dank. Das ist sehr freundlich von Ihnen.«
    Übertrieben hö
f
lich
, denkt Saba und beginnt, sich Sorgen zu machen. Wie ein monströses Kind der Liebe zwischen
tarof
und
maast-mali
. Eine Art Kreuzung aus vorgetäuschter Großzügigkeit und vorgetäuschter Unschuld, die namenlos ist und immer dann auftritt, wenn Menschen übertrieben gute Manieren einsetzen, um ihr Unbehagen darüber zu kaschieren, dass sie etwas wissen, was sie nicht wissen sollten.
    »Ich habe Ihre Ergebnisse vorliegen. Ich hab Sie nur zu einem Gespräch hergebeten.« Sie reibt über den rötlichen Streifen an der Stelle, wo vorher ihr Oberlippenbart gewesen ist. Dann schaut sie Saba plötzlich direkt an und fragt hastig, sodass es wie ein einziges Wort klingt: »Was haben Sie mit sich gemacht?«
    Ihr Tonfall und ihr Blick sind anklagend, so wie nur junge Menschen das sein können. Sie ist höchstens fünfundzwanzig, nur wenige Jahre älter als Saba, die sich manchmal wie hundert fühlt. Sie fixiert die Ärztin mit einer, wie sie hofft, einschüchternden Miene.
    Die junge Ärztin konsultiert ihre Unterlagen, blättert eine Seite in ihrer Akte um. »Letztes Mal haben Sie gesagt, dass Ihr Zyklus unregelmäßig und manchmal schmerzhaft ist.« Saba nickt. Die Ärztin blickt sie erneut vorwurfsvoll an, und als Saba nicht mit der Wimper zuckt, zupft sie ihren weißen Kittel zurecht und schaut weg. »Bluten Sie auch außerhalb Ihrer normalen Periode?«
    Saba muss sich beherrschen. »Wie soll ich das wissen, wenn mein Zyklus doch unregelmäßig ist?« Sie atmet aus. »Ja, ja, tu ich.« Sie setzt an, um zu sagen:
Ich hatte mal einen Unfall
, verkneift es sich aber doch.
    Die Ärztin räuspert sich und geht dann zu einem atemlosen Angriff über. »Haben Sie je versucht, abzutreiben, Khanom?«
    »Wie bitte?« Saba muss beinahe lachen. Sie greift sich an die Kehle, spürt das alte Kitzeln wieder tief unten aus seinem Versteck kriechen. Sie versucht, möglichst natürlich auszusehen, als sie sich den Hals massiert.
    »Eine Abtreibung. Haben Sie einen illegalen Schwangerschaftsabbruch versucht?«
    »Gibt’s denn einen legalen? Nein, nein. Ich versuche, schwanger zu werden. Das wissen Sie doch.«
    Saba schüttelt den Kopf und atmet aus, ringt beschämende Tränen nieder. Sie weiß, was jetzt kommt; hat es immer gewusst, jeden Morgen, wenn sie nachsah, ob sie wieder blutete, und jedes Mal, wenn Reza und sie versuchten, ein Baby zu machen – ein Kind, das ihre

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