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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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nicht aufhören, die noch unberechenbarer geworden ist, seit sie und Reza miteinander schlafen. Er sorgt sich deswegen und bringt ihr Kräutermedizin und Tinkturen, von denen er behauptet, sie sollten in sie eingeführt werden. Er fleht sie an, zum Arzt zu gehen, aber sie hat zu große Angst davor. Manchmal schnauzt sie ihn an und sagt, sie wird schon gehen, wenn sie so weit ist. Er reagiert dann mit einem ärgerlichen Achselzucken und tut so, als wäre nichts. Es ist der erste Keim einer tiefen Unzufriedenheit, die er vor ihr verbirgt, wie Jungverheiratete das tun.
    »Saba, komm, hilf mir die Fische putzen.« Khanom Basirs Stimme ertönt aus der Küche. Sie lebt jetzt mit ihnen unter einem Dach, in Abbas’ altem Zimmer, weil Saba es nicht erträgt, dort zu schlafen. Ihre Schwiegermutter in ihrem Haus wohnen zu lassen, war ein Schritt in dem langsamen Prozess, Khanom Basirs Liebe zurückzugewinnen, indem sie ihre Position als Matriarchin weitestgehend abgetreten hat. Saba findet, dass sich das alles ganz gut anlässt. Es gefällt ihr, wie Reza ihre Großzügigkeit mit seinen sanften Augen bewundert und nie etwas sagt, das die noch immer lebendige Erinnerung an Abbas’ Tod hier heraufbeschwören könnte. Seine Dankbarkeit ist eine Quelle des Wohlgefühls in ihrer Ehe.
    Saba geht zu ihrer Schwiegermutter, die zwei Eimer voll mit Kaspischen Brassen vor sich stehen hat. »Vor einer Stunde gefangen«, sagt sie entzückt. »Manche zappeln noch.« Sie packt die glänzend grauen Fische einen nach dem anderen am Schwanz und köpft sie mit einem raschen Schlag ihres Hackmessers. Dann nimmt sie Papier von einem Stapel neben der Spüle, packt die Fische ein und wirft sie in einen sauberen Eimer. »Für die Tiefkühlung.« Sie deutet mit dem Kinn und arbeitet weiter. »Ich hab schon angefangen. Junge Bräute sollten sich ausruhen.«
    Jedes Mal, wenn Khanom Basir etwas halbwegs Nettes sagt, kehrt Sabas Verlangen, ihre eigene Mutter in Amerika zu finden, mit neuer Dringlichkeit zurück. Jetzt, wo sie älter ist, zum zweiten Mal verheiratet, mit einem eigenen Haus und Familie, denkt sie an die Mutterfiguren, die sie in ihrem Leben gehabt hat und die jeweils zu etwas Bestimmtem gut waren: Khanom Basir für die Kunst der Haushaltsführung, Khanom Mansuri für augenzwinkernde Verschmitztheit, Dr. Zohreh für intellektuellen Rat und Khanom Omidi für Weisheit. Und gemeinsam ist es ihnen nicht gelungen, ihre Mutter zu ersetzen, die in nichts davon gut war.
    Seit der Hochzeit ist Khanom Basir milder gestimmt. Es kommt oft vor, dass sie durcheinander ist, und wenn sie mal wieder einen Nervenzusammenbruch erleidet, werden Sabas Wut und Gereiztheit durch den aufkeimenden Verdacht gedämpft, dass ihre Schwiegermutter den Bezug zur Realität verliert, dass sie möglicherweise richtig krank ist.
    Manchmal, wenn die ältere Frau glaubt, sie sei allein, hört Saba sie in ihren Tee schluchzen. »Ach, heiliger Mohammed. Ich weiß es nicht … Nicht mal das weiß ich noch.« Manchmal hebt sie unbewusst die Hände über den Kopf, als würde sie von herabstürzenden Trümmern bedroht, und Saba denkt, dass Khanom Basir vielleicht wirklich nicht weiß, was sie machen soll oder was richtig oder gar wahr ist.
    Wenn sie Saba erblickt, entschuldigt sie sich meistens und schlurft davon. Sie murmelt: »Ich bin sehr müde, glaub ich«, und lässt Saba allein, die über diese seltsame neue Leere um sie herum nachdenkt.
    Jetzt sieht Saba zu, wie sie die Fische in Altpapier packt, und erkennt eine Seite aus einem alten Reiseführer wieder. »Die nicht«, sagt sie und nimmt sie ihr aus der Hand.
    »Wieso?«, fragt Khanom Basir. Sie greift nach einem weiteren Blatt von dem Stapel.
    »Das ist Kalifornien«, sagt Saba. »Wer weiß, vielleicht fahren wir ja irgendwann mal hin …«
    Wenn Khanom Basir von ihren früheren Amerika-Plänen wüsste … Saba kann sich nur ausmalen, was sie wohl tun würde. Wie sie versuchen würde, ihr Steine in den Weg zu legen – das übermäßig gebildete Mädchen mit seinem Mode-
bazi
, das eines Tages weglaufen möchte, wie ihre Mutter das getan hat, um ein liederliches westliches Leben zu führen. Saba kann förmlich hören, wie sie eine ihrer theatralischen Erklärungen abgibt:
Ich werde dafür sorgen, dass sie bleibt, wo sie hingehört, und meinen Namen schützen, selbst wenn ich dabei sämtliche Fingernägel verliere und mein Haar grau wird und ich vor Kummer eine Glatze bekomme.
Aber Rezas Mutter lacht nur und murmelt:

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