Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
Vom Netzwerk:
smaragdgrünen Kuppel, die den Fluss überragt. Aber ich kann dir sagen, dass die Nachmittage jetzt länger sind, dass die Restaurantbetreiber Tische und Stühle im Freien aufgestellt haben, zuerst unsicher, mit fragendem Blick zum Himmel, aber dann haben sie alle Vorsicht vergessen und schweben jetzt mit Weißwein und Rotwein und Sangria von Tisch zu Tisch, bis Scharen von Schönwetterkunden aus ihren Geschäften auf die Straße drängen, wie Mais, der als Popcorn aus Töpfen auf der Herdplatte platzt. Ich stelle mir vor, dass es dort ganz ähnlich aussieht wie in manchen Teilen von Teheran oder Istanbul.
    James fragt, was sie im nächsten Jahr machen wird, und über zwei Pastateller hinweg erzählt sie ihm von der
New York Times
. Sie ist sehr stolz darauf. James sieht ihr beim Essen zu, hebt den Arm und tunkt ein Stück Brot in den letzten Rest ihrer Soße. »In einer Stunde müssen wir wieder irgendwo was Essbares auftreiben«, sagt er. »Hab ich recht? Weil kein Reis dabei war? Wie hieß der noch? …
Domsiah!
«
    Mahtab blickt auf, überrascht, dass er sich an den Namen des Reises erinnert und bereit ist, Dinge zu erwähnen, die sie ihm über Perser und ihre wunderlichen Essgewohnheiten erzählt hat. Sie nimmt seinen hingerissenen Gesichtsausdruck wahr und denkt, dass sie vielleicht nicht noch einen umherirrenden iranischen Mann wie Cameron braucht, wenn sie jemanden wie James haben kann. Jemanden, der nichts über Farsi-Buchstaben weiß oder von den Regeln für persische Authentizität, der aber wissbegierig ist. Jemanden ohne Einwanderersorgen oder die Sehnsucht nach einer Heimat, die es vielleicht nicht mehr gibt. Jemanden, der nicht in der Verbannung lebt, sich nicht in der Suche nach einem Land verliert, sondern sie wegen ihrer exotischen Probleme anhimmelt, wegen ihrer wunderschönen Melancholie, der mandeläugigen Unruhe, die Männer mitten ins Herz trifft. Vielleicht ist die Perserkatzen-, Perserteppich-Variante der Neugier gar nicht so schlecht. Wenigstens muss Mahtab nicht in einem Dorf leben, in dem sie sich durch nichts hervortun kann.
    Siehst du, Maman, ich hab einiges gelernt. Wenn ich nach Amerika gehe, verliebe ich mich vielleicht wieder, und falls ich das tue, dann nur in einen Amerikaner. Weißt du, warum? Weil Mahtab mich gelehrt hat, dass ich weder jemanden brauche, der mit mir blutsverwandt ist, noch einen Freund aus Kindertagen oder jemanden aus meinem Teil der Welt. Ja, solche Verbindungen haben etwas Tröstliches, aber ich habe schon ohne sie gelebt. Vielleicht komme ich ohne ein Baby zurecht, ohne Reza und jeden anderen Mahtab-Ersatz. Warum sollte mein Leben der Widerhall eines anderen Lebens sein? Ich bin fertig mit unsichtbaren Fäden und Bindungen an ein sterbendes Heimatland. Ich will keine verlorene Einwanderin mit Sorgen und Sehnsüchten sein, die es mir unmöglich machen, mich einzufügen. Ich brauche jemanden, der mich auf dieser Welt einzigartig findet, obwohl er weiß, dass ich die Hälfte eines zerbrochenen Paars bin.
    Amerikanische Männer können Einzigartigkeit sehr viel besser begreifen als Blutsbande. Das Vertraute, die dör f liche Geborgenheit birgt für sie keine Romantik. Sie sind dazu erzogen worden, verwegen und mutig zu sein. Mein namenloser Amerikaner passt vielleicht nicht in einen körnigen alten iranischen Film und wird mir wohl nie mit bezaubernder Inbrunst auf einer schlecht gestimmten Gitarre »Sultan der Herzen« vorspielen. In dieser Hinsicht gleicht er Reza, der meine Bücher nicht lesen kann. Aber wenigstens wird er nicht jemand anderen lieben. Mir scheint, dass persische Männer
immer
jemand anderen lieben. Sie liebäugeln mit jedem Teller, außer mit dem, der direkt vor ihnen steht. Sie haben mehr Hunger, als ihnen guttut – poetischer Wahnsinn, der besser nicht an die nächste Generation weitergegeben wird.
    Bei all seinen Fehlern zeigt James eine hingerissene Faszination für Mahtab. Er spricht von ihrer Herkunft, als glaubte er, dass alle iranischen Männer lockige schwarze Bärte hätten, sich Kajal um die Augen malten und ihre Nachmittage damit verbrächten, im ehernen Lendenschurz gegen die Griechen zu kämpfen; als hätten alle iranischen Frauen einen Schlafzimmerblick und äßen Granatäpfel wie auf den alten Gemälden, als würden sie ihre langen weichen Schenkel um
setars
schlingen und sich in die Umarmung oberlippenbärtiger Liebhaber sinken lassen. Sie mag diese Klischees. Immerhin kreisen sie nicht um Hidschabs und

Weitere Kostenlose Bücher