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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer
Autoren: Dina Nayeri
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hasste, wenn irgendwas Muslimisches erwähnt wurde.
    »Still«, sagte Agha Hafezi. »Schluss mit dem Gerede.« In jenen Tagen hatten sie oft Streit, aber die Mädchen bekamen es nie mit. Wahrscheinlich machten sie weiter ihre Witze, aßen Rosinen und geröstete Kichererbsen und taten so, als würden sie die teppichwebenden Mädchen in Nain besuchen. Ach, diese Hafezis und ihre Reisen! Ans Meer, um frischen Fisch zu kaufen, nach Qamsar, um von der Schnellstraße aus das Rosenwasser zu riechen, nach Isfahan, dem Zentrum der Welt, nach Persepolis, der Kultur wegen, nach Teheran, um Verwandte zu besuchen.
    Ich beneide sie, wie sie da frühmorgens im Auto wegfahren, vor allem, wenn es in die Berge geht. Den dichten Wald aus dem Nichts auftauchen zu sehen. Sich eine ganze dampfende Mahlzeit in Thermosflaschen und mit Tüchern abgedeckten Töpfen auf den Rücken zu schnallen, einen Berg zu besteigen und oben zu frühstücken.
    Ich weiß noch, ehe sie losfuhren, erzählte ich den Mädchen, dass die Villen am Meer westliche Toiletten haben, das Werk eines fremden Teufels, das sich wie ein Thron aus dem Boden erhebt. Sie quietschten und kugelten sich vor Lachen, weil sie das schier unvorstellbar fanden, und schlossen Wetten ab, wer von ihnen sich zuerst daraufsetzen würde.
    Hätte ich doch nur darum gebeten, mit auf die Reise kommen zu dürfen. In jenen Tagen vernachlässigten die Hafezis die Mädchen, jawohl, und ich scheue mich nicht zu sagen, dass ich Bahareh ein bisschen die Schuld gebe. Sie hätten mich für meine Dienste bezahlen können, und ich liebte die kaspischen Villen, die taufrischen Strandorte der Reichen, mit ihren hübschen Verneigungen vor dem dör f lichen Leben um sie herum – Häuser auf Stelzen und alle paar Kilometer kleine Läden aus Holz, die Weidenkörbe draußen hängen hatten und neben der Tür stapelweise Gläser mit Eingemachtem, eingelegtem Knoblauch und Orangenblütenmarmelade feilboten. Das Beste aber waren die großen Zweige, die aus den Wänden ragten und mit Oliven und Knoblauchzehen behängt waren. Im Frühling duftet der Nordiran nach Orangenblüten. Im Sommer riecht er nach frischem Fisch. Shomal ist eine Art Paradies.
    In jenem Sommer lag die Villa der Hafezis so nah am Wasser, dass es ihnen möglich war, Fische zu braten und gleichzeitig im Meer zu waten, dass sie ihr Essen mit den Möwen teilen, fast blind durch Nebel und Dunst zurückstolpern konnten und trotzdem ihr Haus gleich wiederfanden. Böses Omen, sich so nah am Meer aufzuhalten. An jenem Abend aßen sie Spezialitäten aus der Gegend, zerstoßene Oliven mit Bärenklaupulver, Granatäpfel, Knoblauch, frische Kräuter und Walnüsse. Kebabs. In Kräuterchutney getunkte grüne Tomaten und Gurken. Als eine Bettlerin anklopfte, gab ihr ein fröhlicher Agha Hafezi eine große Portion Kebabs mit, weil er meinte, dass Obdachlose oftmals Engel sind, die die Gläubigen auf die Probe stellen wollen, wie die Engel, die Lot besuchten. Wenn Sie mich fragen, war auch das ein böses Omen, denn mit dieser Hommage an christliche Propheten forderte Agha Hafezi Allah heraus.
    Später, es war schon längst dunkel, machten die Mädchen alles kaputt, indem sie in dem schwarzen Wasser schwimmen gingen.

Kapitel Achtzehn
    Spätherbst 1992
    D ie Monate vergehen wie im Rausch, verlieren sich in den hektischen Stunden und Tagen, die sie ausfüllen. Einen Pass besorgen. An die Türen von Botschaften klopfen und Bürokraten bestechen. Tickets für sechs über vier Monate verteilte Flüge kaufen, nur für alle Fälle. Sie erzählt niemandem, dass sie fortwill. Noch nicht. Warum sollte sie? Lieber vorsichtig sein, ihre Geheimnisse und Pläne hüten, so wie früher. Vorbei ist es mit der süßen Seligkeit jener ersten Tage ihrer Ehe, als kein Geheimnis zu groß schien, um es sich zuzuflüstern.
    Schluss damit. Obwohl sie nach einer gesucht hat, bleibt ihr keine Entschuldigung mehr, im Iran zu bleiben, keine Entschuldigung dafür, dass sie noch immer nicht den Versuch gewagt hat, wegzukommen, obwohl sie aufgrund dieser Hoffnung sogar die Ehe mit Abbas in Kauf genommen hat. Sie sitzt nicht in der Falle. Sie hasst sich selbst dafür, dass sie das gedacht hat, dass sie sich immer zurückgenommen hat, dass sie unwichtige Rollen akzeptiert und widerspruchslos gespielt hat. Schluss mit dem Salzigen und Süßen dieses Lebens am Meer. Keine Khanom Basir mehr, aber auch kein Reza. Keine Zeit mehr, die sie als dör f liche Ehefrau verbringen muss, aber auch keine Zeit
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