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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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vor ihm kuscht und ihm nach zahllosen Zurückweisungen und Demütigungen, nach seinem langen vergeblichen Werben, endlich eine gewisse Genugtuung verschafft. Er legt eine Hand an seinen Schlagstock und tritt näher an Ponneh heran. »Geh weiter«, befiehlt er.
    Saba legt einen Arm um ihre Freundin, aber Ponneh schüttelt ihn ab. Ihr trotziger Gesichtsausdruck ist beängstigend. Sie stößt ein kurzes, hämisches Lachen aus. Haselnussbraune Augen weiten sich, wie früher bei irgendwelchen kindlichen Zankereien, wenn etwas in Ponneh ausrastete und sie alles aufs Spiel setzte, nur um recht zu behalten – ihre Streitlust siegt dann über ihr Taktgefühl.
Bitte, Ponneh, sei jetzt nicht stur.
    »Nein«, sagt Ponneh mit leicht zittriger Stimme. »Ich geh nach Hause.«
    »Du bekommst hundert Peitschenhiebe«, warnt Mustafa, der jetzt dicht vor ihr steht. »Wirst schon sehen.«
    Saba erstarrt. Kann ein Paar roter Schuhe zur Folge haben, dass Ponneh ausgepeitscht wird? Hier doch wohl nicht. Welche Lügen will Mustafa erzählen, wenn sie im
komiteh
-Büro ankommen? Er könnte alles Mögliche behaupten. Recht und Gesetz sind im Iran fließend. Saba weiß noch, dass
pasdars
in der ersten Zeit nach der Revolution in die Häuser gingen und schnupperten, ob vielleicht jemand Stör gegessen hatte, der verboten war, weil er keine Schuppen hat. Es war ein Delikt, mit dem man sich einige Peitschenhiebe einhandeln konnte, wobei als Beweis der Geruchssinn eines
pasdars
genügte, bis Khomeini den kostbaren Kaviarfisch später als
halal
erklärte.
    Mustafa packt Ponnehs Arm. Saba steigt ein säuerlicher Geschmack in den Mund.
    Ponneh reißt ihren Arm los, und Mustafa taumelt rückwärts.
    Er nimmt ihr Gesicht in eine Hand, und einen Moment lang wirkt diese Geste beinahe zärtlich. Sein Daumen bewegt sich in kleinen Kreisen über ihre Wange. Dann drückt er fest zu, sodass sich ihr Mund öffnet, und flüstert: »Hure.«
    In Ponnehs Augen blitzt etwas Wildes auf, das Saba nur allzu gut kennt und das sie aus ihrer Erstarrung reißt. Sie lässt eine Einkaufstüte fallen. Orangen und Tee verteilen sich über die Schotterstraße. »Nicht!«, schreit sie.
    Aber Ponneh hat es bereits getan. Jetzt ist es zu spät. Als Saba ihre Freundin festhalten kann, hat sie einem
pasdar
schon mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen.
    Dann ist Mustafas Schlagstock in der Luft, und Saba kann den Körper ihrer Freundin kaum von dem seinen unterscheiden. Er schlägt sie auf den Rücken, und sie duckt sich. Sie schreit. Er klemmt sich den Stock unter den Arm und stößt sie zu Boden. Gleich darauf wird Ponnehs Mund auf die Erde gedrückt. Mustafa fällt neben ihr auf die Knie, atmet in ihr Ohr, während er ihr den Stock in den Rücken presst. Er flüstert irgendwas, als er ihr Kinn anhebt und zu einer kleinen Gasse dreht, die im Dunkeln kaum zu sehen ist. Er wartet, aber sie blickt ihn angewidert an und windet den Kopf aus seinem Griff.
    Ponneh kauert sich an die mit Stroh gesprenkelte Mauer und versucht, ihn von sich wegzutreten. Mustafa hebt seinen Stock und schlägt ihn knapp über ihrem Ohr krachend gegen die Mauer. Trockene Lehmklumpen rieseln auf sie herab, und ihre Hände fliegen hoch und umfassen ihren Hals. Er macht es noch einmal, als wollte er seine Kraft unter Beweis stellen. Ponneh zuckt jedes Mal zusammen, wenn der Stock dicht vor ihrem Gesicht die Luft durchschneidet.
    Saba fleht und bettelt, und plötzlich fällt ihr ein Satz von Khanom Basir ein:
Eine schöne Frau wird immer mit dem Gesetz in Konflikt geraten.
    »Fahr zur Hölle«, keucht Ponneh. »Lieber wär ich mit einem Hund zusammen.«
    Mustafa hebt den Stock und beginnt, auf ihren Rücken einzudreschen.
    Saba schreit auf und stürzt sich auf Mustafa, doch er stößt sie fast mühelos weg. Sie ringt nach Luft, streicht sich mit beiden Händen fahrig über den Hals, während sie gegen die Vorstellung ankämpft zu ertrinken. Sie versucht, ihn auf Gilaki anzuflehen, aber Mustafa hört sie gar nicht. Zwei Frauen in dunkler Kleidung kommen an der kleinen Straße vorbei. Sie bleiben stehen und spähen zu ihnen herüber.
    Genießt Mustafa die Gelegenheit, ein hübsches Mädchen so zu schlagen? Es bestätigt nur, was Saba schon lange weiß, nämlich dass die Sittenpolizei Unschicklichkeit weniger hasst als ihr eigenes Begehren. Jeden Tag denken sie sich irgendeine neue Grausamkeit aus – unverständliche Regeln und grässliche Foltermethoden und nächtliche Morde –, was in Saba den Wunsch weckt, zu

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