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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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fliehen, den Iran endgültig zu verlassen, sich den Gestank des Kaspischen Meeres von den Händen zu waschen, ein Ende zu machen. Der Iran ist am Ende. Wird Mustafa, wenn er ein alter Mann ist, noch wissen, dass er einst eine junge Frau geprügelt hat, nur weil sie ihre Schönheit ihm zum Trotze bewahrte?
Unfassbar. Wegen eines blöden Paars Schuhe.
    Ponneh weint. »Hör auf«, schluchzt sie. »Ich geh ja mit –«
    Aber Mustafa hört nicht auf. Er steht über sie gebeugt und drischt wie von Sinnen auf sie ein. Manchmal, wenn seine Wut ihn schwächt, trifft er den Boden oder die Mauer. Hat er gehört, was Ponneh gesagt hat? Egal, Saba hat es gehört, und sie weiß, wie sehr Ponneh das später bereuen wird. Jetzt aber haben ihre Augen ihren Glanz verloren, und sie ist bloß noch ein verängstigtes Tier, der Verlust ihrer Würde belanglos im Vergleich zu dem körperlichen Schmerz. Wenn das Mahtab wäre, die sich da unter Mustafas Schlagstock duckt, würde Saba nicht weniger mitleiden.
    Die beiden Frauen kommen angelaufen, kreischen: »Heda! He! Was machst du denn da?« Sie scheinen keine Angst vor dem
pasdar
zu haben. Cheshmeh ist schließlich nicht Teheran. Hier kennt jeder jeden.
    Als sie fast bei ihnen sind, atmet Saba erleichtert auf, weil sie Khanom Omidi und Khanom Basir erkennt. Rezas Mutter schreit: »Mein Gott, Ponneh-dschun!«
    Khanom Omidi schleppt sich schnaufend heran und versucht, Mustafa wegzuziehen. Khanom Basir schlägt mit ihrem Korb auf ihn ein, bis er benommen aufhört.
    »Schäm dich! Du Hund!«, schimpft Khanom Basir. »Bist du verrückt geworden?«
    Er richtet sich auf, und seine Augen weiten sich, als er die älteren Frauen wahrnimmt. Wie ein Kind nimmt er Haltung an und versucht, sich an seine eigene Version der Ereignisse zu erinnern. Er steckt seinen Schlagstock zurück in den Gürtel und wischt sich den Schweiß von der Stirn, während Saba zu Ponneh stürzt und ihr auf die Beine hilft. Plötzlich schämt sie sich, dass sie Mustafa aus Angst vor der Uniform nicht aufgehalten hat. Jetzt, da er seine Wut abreagiert hat, sieht Mustafa bestürzt aus, weil sie alle sein wahres Ziel kennen, wissen, was er in Wirklichkeit von Ponneh gewollt hat.
    »Ihr kommt alle mit zur
komiteh
.« Er ist außer Atem, versucht, sich zu beruhigen, Respekt einzuflößen. »Ihr könnt euch auf was gefasst machen.«
    Khanom Omidi lächelt ihn hasserfüllt an. Wenn es um
maast-mali
geht, kann es keiner mit dieser alten Frau aufnehmen. Dass Mustafa es überhaupt versucht, ist lächerlich. »Gute Idee«, sagt sie. »Rufen wir Mullah Ali an und erzählen ihm, wie gut du deine Sache machst.«
    »Ihr könnt vom Büro aus anrufen«, sagt Mustafa. »Gehen wir.«
    »Schon gut«, sagt Khanom Omidi und tut so, als wollte sie mitkommen. Sie drückt sich eine Hand in den Rücken und seufzt, als würde sie laut nachdenken. »Und wir dürfen nicht vergessen, Fatimeh Bescheid zu sagen.«
    Mustafa erbleicht, als der Name seiner kranken, altersschwachen Großmutter fällt. Einen Moment lang tritt Stille ein, und er scheint sich zu schämen. Dann sieht er Ponneh an. »Du hast Glück. Diesmal begnüge ich mich mit einer Verwarnung. Aber wenn ich je wieder so ein lasterhaftes Verhalten sehe …«
    Khanom Omidi nickt,
ja, ja, ja
. »Ab nach Hause mit euch«, sagt sie. Die Meisterin des
maast-mali
– wie geschickt sie das macht. Sie erhöht es zu einer veritablen Kunst – wie die Kunst, einen Malerpinsel zu führen oder ein Glas mit eingelegtem Knoblauch richtig zu lagern.
    Am Ende der Straße hat sich eine kleine Menschenmenge versammelt. Mustafa drängt sich durch sie hindurch und verschwindet. Saba bemerkt eine Frau, die ihr bekannt vorkommt. Sie ist dünn, hager, etwa im Alter ihrer Mutter, mit einer Intellektuellenbrille und einem mitleidigen Ausdruck im Gesicht. Sie steht mitten zwischen den Leuten, aber niemand spricht mit ihr.
Wer ist das?
Saba ist sicher, sie schon mal gesehen, vielleicht sogar mit ihr geredet zu haben.
    Ponneh muss auf Khanom Omidis ausladenden Armen nach Haus getragen werden. Die Blutergüsse an ihren Armen und am Hals verfärben sich bereits. Saba will sich gar nicht vorstellen, wie ihr Körper unter den Kleidern aussieht. Ein unaufhörlicher Strom von Schleim und Tränen ergießt sich aus Ponnehs Nase und Augen, und Saba hat das Bedürfnis, beides wegzuwischen, sich auch zu beschmutzen. Ponneh murmelt unverständliche Nichtigkeiten, hustet und verflucht sich zwischendurch selbst, weil sie sich Mustafa

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