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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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– wie wenn ihr Vater dem Mullah erzählt, es wäre kein Opium in der Pfeife.
    Sie kann Opium riechen, jetzt, als sie an einem älteren Mann mit Käppchen vorbeigeht. Der Basar, der für viele Händler die Haupteinnahmequelle darstellt, wird auf dem großen Dorfplatz abgehalten. Außerdem gibt es dort ein paar Läden, ein Kebab- und Fischrestaurant mit Tischen vor der Tür und ein Café, das auf dunkelroten Teppichen nur Tee und Wasserpfeifen serviert. Es gibt eine Bank und Stühle, auf denen alte Männer unter Bäumen sitzen. Am Marktplatz halten die Busse, und Freunde und Fremde kommen dort zusammen. Wenn viel los ist, lungern schon mal ein oder zwei
pasdars
in einem Jeep in der Nähe herum und behalten die sündige Jugend im Auge. Der Markt ist das ganze Jahr geöffnet, selbst an Wintertagen, wenn eine nasse Kälte von den Bergen herabkommt und die Luft dünn und schmerzhaft macht. Saba wickelt ihre Tücherschichten und den dicken Mantel enger um sich. Ein böiger Wind fegt durch die Gänge unter Dächern aus Segeltuch und Plastikplanen. Heute ist das Gemüseangebot mickrig, bloß Unverzichtbares wie Zwiebeln und Kartoffeln gibt es. Normalerweise stehen hier reihenweise Körbe mit allen möglichen frischen Kräutern, Bergen von Minze, Petersilie und Koriander, aber heute bieten die Händler nur haltbar gemachte Waren feil. Riesige Kränze aus getrockneten Kräutern hängen an ihren Ständen. Saba sieht Ponneh beim Bäcker stehen, in der Hand eine Papiertüte mit den verräterischen
baghlava
-Sirupflecken am Boden. Ponneh kramt nach ein paar Münzen, um zu bezahlen.
    Der Bäcker sagt: »Bitte, Khanom, ich stehe Ihnen zu Diensten.« Saba wartet ab und schaut sich dieses
tarof
-Spiel an, diese vermeintliche Großzügigkeit, und denkt staunend, wie lächerlich es doch ist.
    Ponneh sagt: »Nein, wirklich. Ich bestehe darauf.«
    Der Bäcker schlägt die Augen nieder und neigt demütig den Kopf. »Bitte, sie gehören Ihnen.«
    Ponneh wiederholt noch einmal: »Ich bestehe darauf.«
    Und dann ist das Spiel vorüber. Der Bäcker akzeptiert, und der
tarof
-Tanz findet sein elegantes Ende. Saba lächelt bei dem Gedanken daran, was passiert wäre, wenn Ponneh das »kostenlose« Gebäck angenommen hätte. Der Bäcker hätte sie wohl die Straße hinunter verfolgt oder den Preis angeschrieben. So läuft das nun mal. Gesellschaftliche Regeln sind nicht auf gesellschaftliche Anlässe beschränkt. Metzger müssen kostenloses Fleisch anbieten. Friseure müssen so tun, als würden sie ihren Kunden aus reinem Vergnügen die Haare schneiden.
    Gut zu lügen ist im Iran ungemein wichtig. Jeder praktiziert zumindest die zwei grundlegendsten Spielarten:
tarof
(»Bitte sehr, mein Herr! Essen Sie, trinken Sie. Nehmen Sie sich meine Tochter!«) und
maast-mali
(»mit Joghurt bedecken«), die Kunst der gespielten Unschuld (»Ach, das war doch nichts! Eine Beule? Nicht mal ein Kratzer. Überhaupt, an dem Tag war ich in Wahrheit außer Landes!«).
    Ponneh steckt ihre hübsche Hand in die Tüte und zieht ein warmes, tropfendes Stück Gebäck heraus.
    »Saba-dschan!« Sie kommt angelaufen und umarmt Saba mit Unterarmen und Ellbogen, weil sie beide Hände voll hat. »Vorhin war Reza hier und hat Tee gekauft«, sagt sie. »Ich hab kurz mit ihm gesprochen, und er hat gesagt, er kann um sechs in die Vorratskammer kommen.« Sie hält Saba ein Stück
baghlava
hin. »Hier, probier mal.« Sie schaut zu dem Bäcker hinüber, der ihr ein zahnloses Lächeln schenkt. »Wenn der Mann noch Zähne hätte und nicht schon hundert wäre, würde ich ihn heiraten und den Rest meines Lebens damit verbringen, Speck anzusetzen.«
    Saba nimmt eine Schicht von dem Gebäck, froh, dass Reza gesagt hat, er würde zu ihr nach Hause kommen. Dann war er also doch nicht beleidigt. Und vielleicht fragt er sie irgendwann noch mal, ob er sie küssen darf.
    »Nimmst du bloß den einen Bissen?«, sagt Ponneh. »Mach kein
tarof
. Maman hat mir das Geld gegeben.«
    Sie spazieren gemeinsam an den farbenfrohen Pyramiden aus Gewürzen und Nüssen entlang – Kreuzkümmel, Kurkuma, Walnüsse und Mandeln –, auf Tische gehäuft wie die Berge eines fernen Planeten. Vor den Kühlbehältern der Fischer mit frischem Fang und einem Metzger, der Lammkeulen verkauft, hat sich eine Menschenmenge versammelt. Außer den ersten beiden Kunden stellt sich keiner brav an. Die Übrigen bilden ein schiebendes, Hälse reckendes und laut rufendes Gedränge.
    Stunden später, ihre Körbe gefüllt mit Gemüse,

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