Ein Teelöffel Land und Meer
angeboten hat, eine Reue, unter der sie gewiss noch lange leiden wird.
»Dieser
kesafat
… dieses dreckige Stück Scheiße«, sagt Khanom Omidi, die schon immer gerne deftig flucht, aber diesmal hört sie auf dem ganzen Nachhauseweg gar nicht mehr damit auf. Sie singt die Flüche wie ein Klagelied. »Dieser Hundesohn, dieser
bisharaf
, dieser schmutzige Elefantenarsch.« Sie schüttelt den Kopf in melodramatischer Trauer, dann beruhigt sie sich wieder. »
Schsch
, Ponneh-dschan. Ich mach dir was gegen die Schmerzen. Ich muss nur rasch meine Dose mit den Spezialgewürzen holen. Was hältst du davon?« Saba fragt sich, wie Khanom Omidi es in solchen Zeiten riskieren kann, ihr Opium einzusetzen, aber so ist sie nun mal; im Leben sind die kleinen Freuden entscheidend. Außerdem wird Ponneh die Linderung brauchen, wenn sie begreift, dass es keine Gerechtigkeit geben, dass niemand darum kämpfen wird. Und das alles, weil ihr ein Absatz abgebrochen ist.
Nachdem sie Ponneh nach Hause gebracht haben, gehen Khanom Omidi und Khanom Basir zum Haus der Hafezis, um das Abendessen zu machen. Saba bleibt. In einem winzigen Schlafzimmer untersucht sie Ponnehs Rücken. Die Blutergüsse sind schrecklich, von blassgelb bis dunkellila. Ponneh ist fest entschlossen, sie zu verbergen. Saba verteilt Salbe auf ihrem Rücken, hilft ihr, in eine weiche Bluse zu schlüpfen und einen dicken, schützenden Pullover darüberzuziehen. Ponneh hockt wie eine verängstigte Katze auf dem Boden, in einer Ecke ihrer Schlafmatte, bemüht, ihren geschundenen Rücken nicht gegen die Wand zu lehnen. Ihr Gesicht ist aschfahl, voller verbitterter Falten und roter Flecken. Als Saba versucht, sie zu trösten, stößt Ponneh ihre Hand weg. »Ich komm nicht drüber weg, dass ich dem Scheißkerl diese Genugtuung gegeben hab.«
»Er wird es nie wieder versuchen«, sagt Saba. »Du hast nichts falsch gemacht.«
Später kommt Reza durch das kleine Fenster in Ponnehs Zimmer geklettert, das nicht zur Straße, sondern zum Wald hin liegt. Seine Mutter hat ihm alles erzählt. Er setzt sich auf die Matte und rutscht behutsam auf Ponneh zu. Er zieht ihren Kopf an seine Brust, achtet darauf, ihre Blutergüsse nicht zu berühren. Er singt ein Kinderlied, und Ponneh lächelt und sieht zu ihm hoch. »Weißt du noch, was wir dazugedichtet haben?«, sagt er scherzhaft und beugt sich weiter herunter, sodass ihre Nasen sich beinahe berühren und Saba sehen kann, wie sein Haar auf Ponnehs Gesicht fällt. »Der Basar ist für eine Weile gestrichen. Ich übernehme das Einkaufen.« Dann fügt er hinzu: »Und mach dir keine Gedanken wegen Mustafa. Um den kümmere ich mich.«
Saba sitzt auf Ponnehs anderer Seite und versichert ihr, dass sie und Reza schon alles regeln werden. Sie betrachtet die beiden, versucht, nicht selbstsüchtig zu sein oder an ihren eigenen Schmerz zu denken, nicht in so einem Moment. Aber sie denkt, dass Khanom Basir vielleicht all die Jahre über recht hatte. Vielleicht sind Sabas Freunde ineinander verliebt. Sieh nur, wie er ihr Haar berührt. Sieh nur, wie er nicht jedes Wort abwägt, ob es auch korrekt ist, wie er nicht so tut, als könnte er englische Texte aufsagen. Sieh nur, wie eine unsichtbare Macht ihre Gesichter zueinanderzieht, ohne dass sie was dagegen tun können. Wahrscheinlich hat er Ponneh nie gefragt, ob er sie küssen darf. Wahrscheinlich musste er das nie. Sie gehören derselben Welt an, einem ländlichen Ort ohne Väter, wo resolute Mütter regieren. Sie verstehen einander. Sie trennt nichts, keine großen Häuser oder Hafezi-Ländereien und die Chance auf Amerika. Doch dann nimmt Ponneh Sabas Hand. »Seht ihr, wir drei bleiben zusammen, immer«, sagt sie, als würde sie sie beide brauchen, und Saba denkt, dass sie sich vielleicht irrt.
Sie beschließen, dass es gut für Ponneh sein könnte, bei den Hafezis zu Abend zu essen – unter Frauen zu sein, die ihr Gesicht vergöttern, die sie niemals deswegen geschlagen hätten. Reza geht zuerst, und Saba hilft Ponneh, sich fertig zu machen. »Weißt du noch, als wir vierzehn waren und du dich an der Hand verletzt hast?«, sagt sie. »Da hat Reza dir so ein französisches Lied vorgesungen.«
»
Donneh, Donneh, Do-donneh
«, singt sie. »Genau wie Ponneh.«
Saba nickt. »Das mein ich! Weißt du das noch?«
»Du hast gesagt, es würde was anderes bedeuten«, sagt Ponneh.
»Ich hab gelogen«, sagt Saba, während sie Ponneh die Haare flicht, wie sie das früher oft getan hat, als sie noch
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