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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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Teeblättern, Reis, Fisch und etlichen Grundnahrungsmitteln, die Portemonnaies von Lebensmittelmarken und Geld entleert, machen sie sich auf den Nachhauseweg, während der nachmittägliche Ruf zum Gebet, der
azan
, von der Dorfmoschee herüberhallt und die Sonne sich zum Horizont neigt, die Berge in neue Farben taucht. Sie gehen schneller. Sobald es dämmert, laufen junge Frauen Gefahr, befragt zu werden.
    Sie haben den Basar gerade verlassen, als Saba zögert. »Sieh mal da drüben«, flüstert sie.
    Mustafa, ein junger Offizier der Sittenpolizei, beobachtet sie. Seit Jahren behauptet er, Ponneh zu lieben, und sie hat ihn stets abgewiesen. Jetzt trägt er die
pasdar
-Uniform und genießt es, sie beide zu schikanieren, sie zu zwingen, auf die wenigen kleinen Freiheiten zu verzichten, deren sich die meisten Dorfbewohner noch erfreuen. Saba schiebt einige lose Haarsträhnen zurück unter ihr Tuch.
    Mustafa kommt auf sie zumarschiert und rückt seine olivfarbene Uniform zurecht, die Augen starr geradeaus gerichtet. Saba beschleunigt ihre Schritte, muss an den Tag denken, als der Flughafen-
pasdar
ihre Mutter anschnauzte. Dann, als sie gerade um eine Ecke biegen wollen, hört sie ein Knacken. Ponneh stolpert.
    »Verdammt, mein Absatz ist abgebrochen.« Sie flucht, als sie unter ihren Manteau und den bodenlangen Rock greift, um den Schuh auszuziehen, ein glänzend rotes Ding mit fingerlangem Absatz.
    »Wieso trägst du die zum Markt?« Saba starrt die Schuhe an.
    »Weil sie mir gefallen! Und keiner kann sie sehen.«
    Saba findet das nicht seltsam. Ponneh hat schon immer gemacht, was sie wollte, und nach der Revolution ist es mutig, ein Paar rote Schuhe zu tragen, nicht oberflächlich oder eitel. Auch Saba hat sich schon an dieser Form der Rebellion versucht. So wie viele ihrer Freundinnen.
    Mustafa holt sie ein. Seine Stimme ist wie eine Peitsche, und er gibt vor, sie nicht zu kennen, ein Spiel, von dem er erwartet, dass sie es mitspielen. »Ihr da«, sagt er, wohl in dem Glauben, sein zotteliger Bart könnte sein Alter und seine Identität verbergen. »Was macht ihr da? Es wird schon dunkel.«
    Saba heuchelt Respekt. »Wir sind auf dem Nachhauseweg. Guten Tag, Agha.«
    »Papiere«, sagt er. Ponneh verdreht die Augen, während sie auf einem Bein balanciert.
    Saba unterdrückt ein verächtliches Schnauben. Instinktiv nimmt sie einen bäuerlichen Tonfall an. »Wir haben bloß auf dem Markt eingekauft.«
    Mustafa schüttelt den Kopf. »Wo wohnt ihr?«
    Fast hätte Saba erschreckt aufgelacht. »Ist das dein Ernst? Mustafa, du kennst uns doch –«
    Mustafas Augen huschen zu Ponneh. Saba hält den Atem an, sieht ihm an, dass er sich an Ponnehs Schönheit erinnert, während sein Blick mit demselben absurd anzüglichen Ausdruck, den sie von Kasem kennt, an ihr auf und ab gleitet. Und dann bemerkt sie etwas, das aussieht wie Hass.
    Ponneh richtet den Blick auf den Boden, versucht, ihren Ärger zu verbergen.
Kein Grund zur Sorge
, denkt Saba. Ponnehs Kopftuch sitzt makellos. Sie trägt weite Kleidung und kein Make-up. Nur eine rote Schuhspitze lugt unter ihrem Mantel hervor. Mustafa kann ihnen nichts anhaben. Seine Augen gleiten von ihrem Gesicht zu dem Schuh. »Was ist das?«, fragt er und schiebt mit der Fußspitze ihren Rocksaum beiseite. »Diese Schuhe sind unschicklich«, zischt er.
    »Sie sind unter der Kleidung«, sagt Ponneh zähneknirschend mit trotzigen Augen. »Geh weg.«
    »Solche Schuhe sind lasterhaft und anstößig«, sagt er.
    Ponneh wird lauter. »Was geht dich das an? Macht dir das Spaß?«
    Saba verschlägt es den Atem, aber Mustafa übergeht die Bemerkung. »Anständige muslimische Frauen wissen, wie man sich sittsam benimmt«, sagt er tonlos. Jetzt wird auch Saba ärgerlich, wie bei einem Kind, das sich nicht von einem nervtötenden Spiel abbringen lässt. Ponneh hätte diese Schikane durch nichts vermeiden können, es sei denn, sie hätte eine Burka getragen. Und selbst dann hätte Mustafa sie noch aufs Korn genommen. »Mitkommen.«
    Saba murmelt ihr Unverständnis, während sie Mustafa zu dem strohgedeckten Haus folgen, das der Sittenpolizei, der
komiteh
, im Dorf als Hauptquartier dient. Ponneh trägt ihren Schuh in einer Hand. Wenige Schritte vom Basar entfernt, auf einer ruhigen Straße zwischen hohen Mauern aus Lehm und Stroh, bleibt sie stehen. »Mustafa, das reicht jetzt. Du hast deine Macht bewiesen.«
    Mustafa dreht sich um, mit rotem Gesicht. Offensichtlich hat er erwartet, dass sie ihm gehorcht,

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