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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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untersagt, Kontakt zu Saba aufzunehmen, weil das zu viele Gefahren birgt. Ich werde weiter nach meiner Freundin suchen. Natürlich sind mir die naheliegenden Antworten klar, aber das ist kein Ersatz dafür, Gewissheit zu haben.

Kapitel Sieben
    Herbst–Winter 1989
    S aba schlägt auf den Deckel des Videorekorders, bis er unter ihrer Hand zum Leben erwacht und Bilder über die Mattscheibe flimmern. Sie lehnt sich gegen ein Kissen im Wohnzimmer ihres Vaters. Sie trägt noch immer ihr Hochzeitskleid, und im Zimmer herrscht nach der Feier ein heilloses Durcheinander. Sie wird erst morgen zum Haus ihres Ehemannes gebracht, und eine Gruppe von Freunden wird helfen, ihre Habseligkeiten rüberzuschaffen. Abbas hat nicht darauf bestanden, dass sie ihre Hochzeitsnacht mit ihm verbringt, was sie seltsam findet, aber sie wird diesen unerwarteten Segen auf keinen Fall hinterfragen. Es gibt so viele andere Dinge, die ihr jetzt durch den Kopf gehen. Hat sie einen gigantischen Fehler gemacht? Woher kommt diese Panik in ihrer Brust, und wie kann sie sie vertreiben? Sie sieht sich einen Film an, von dem sie seit ihren Kindheitstagen in amerikanischen Illustrierten gelesen hat. Der Teheraner hat ihr endlich eine Kopie davon besorgen können.
Love Story
spielt an der Harvard University und ist voll von Einzelheiten über Harvard, die sie aufsaugen kann. Ein Gebäude, das Mahtab gefallen würde. Ein Korridor, durch den Mahtab vielleicht gegangen ist. Ein Stuhl, in dem sie gesessen haben könnte, in einem Seminar, das sie möglicherweise besucht hat. Sie sieht sich den ganzen Film an, obwohl sie die Geschichte zu süßlich und sentimental findet. So funktioniert Liebe nicht. Falls Mahtab sich in Harvard verlieben würde, würde es ganz sicher nicht so laufen.
    Sie hört von draußen Geräusche, und Khanom Mansuri, die Uralte, kommt hereingeschlurft. »Wieso schläfst du nicht?« Sie lässt sich auf ein Kissen sinken und schiebt einen Teller mit angebissenen Plätzchen weg. Sie liebkost Sabas Wange, zieht Sabas Gesicht näher an ihres, als wollte sie sie küssen, tut es aber nicht.
    »Khanom Mansuri«, flüstert Saba und drückt den Kopf an die Schulter der alten Frau. »Was hab ich getan?« Ist die Frau eines reichen Muslims wirklich geschützter als die Tochter eines reichen Christen? Ist sein Geld irgendwie sicherer? Wird ihr Plan dazu beitragen, dass sie eines Tages Freiheit erlangen und nach Amerika kommen wird? Hätte sie nicht doch nach Teheran gehen sollen?
    Khanom Mansuri liefert ihr keine Antworten. Sie summt ein Lied. Als sie fertig ist, murmelt sie: »War Agha schon bei dir? Er hat ein Geschenk für dich.«
    Saba zeigt ihr Handgelenk, um das Armband zu präsentieren, das Agha Mansuri ihr am Nachmittag überreicht hat. »Du hast den liebsten Mann der Welt«, sagt sie zu der alten Frau. Saba würde gern ein Foto von dem Paar sehen, als die beiden in ihrem Alter waren, aber vielleicht würde das ihre Fantasievorstellung zerstören. Sie hat den Verdacht, dass sie nicht mal in ihrer Jugend besonders attraktiv waren. Sie sind beide so zierlich, dass sie wie Miniaturmenschen wirken. Agha Mansuris Kopf ist winzig, selbst für seinen kleinen Körper, und Khanom Mansuris Augen stehen zu weit auseinander. Aber wenn Saba sie sich als Zwanzigjährige vorstellt, verwandeln sie sich irgendwie in klassisch schöne Filmschauspieler, mit welligem pechschwarzem Haar und verträumten Augen. Sie denkt an das Liebespaar in
Sultan der Herzen
– ein alter persischer Film, in dem die Heldin traurig auf dem Marktplatz singt – und malt sich aus, wie sie selbst verliebt ist oder gar eine dramatische Affäre hat.
    Khanom Mansuri nickt und grinst zahnlos. »Du bist für uns wie eine Enkeltochter. Und jetzt wird Abbas ja dann wohl unser Enkelsohn.« Saba lacht, und Khanom Mansuri erwidert: »Na schön, vielleicht eher so etwas wie ein Sohn oder ein Cousin.«
    Heute Abend hängt eine graue Nebelbank über dem Dorf. Vor einer halben Stunde hat heftiger Regen eingesetzt.
Love Story
läuft auf der Mattscheibe, und Saba erklärt Khanom Mansuri die Handlung. Sie merkt nicht, wann die Geschichte sich in eine Erzählung von Mahtabs Leben in Amerika verwandelt. An irgendeinem Punkt setzen sich die Ansichten und Klänge von Harvard, all die Details, die sie aus Büchern, Zeitschriften und Filmen gesogen hat, zu einem klaren und unausweichlichen Bild ihrer Schwester zusammen.
    »Das ist der Zwillingssinn.« Khanom Mansuri nickt nachdrücklich. Das ist die Wirkung

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