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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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hatte. »Gut«, sagte sie. »Abbas …«
    »Was ist denn?«, fragte er. Sie saßen an dem kleinen Holztisch in der Küche.
    Sie zögerte. Sie wollte ihm klarmachen, dass sie mit ihrem derzeitigen Arrangement einverstanden war, aber möglichst, ohne ihn zu beleidigen. Schließlich platzte sie heraus: »Ich kann dir keine Kinder schenken.« Die Worte kamen schonungslos über ihre Lippen geschossen, wie Müll, der aus dem Fenster eines dahinbrausenden Autos geworfen wird. Fast im selben Moment bedauerte sie die Dummheit ihrer Lüge.
    Abbas blickte von seinem Frühstück auf. Sein Doppelkinn hüpfte beim Kauen. Saba sah seinen Augen an, dass er wusste, warum sie das gesagt hatte. Er lachte leise. »Ja.« Er schluckte. »In meinem Alter wünscht sich ein Mann nur noch kleine Annehmlichkeiten … Über diese Zeit meines Lebens bin ich hinaus.«
    Sogleich empfand Saba Mitleid mit ihm. Sie wollte ihm ein Kompliment machen, deshalb sagte sie: »So alt bist du gar nicht.« Und dann bereute sie es, weil er das als Einladung auffassen könnte.
    Abbas blickte traurig. »Nein, es wird keine Kinder geben«, sagte er, als spräche er vor sich hin. Dann hob er den Kopf und fügte hinzu: »Aber du wirst als reiche Frau sterben. Dir schadet das also nicht.«
    Sie legte ihm noch eine Scheibe Käse auf den Teller. »Ich will keine Kinder«, sagte sie.
    »Ach ja?« Er schien aufzumerken. »Weil du Wissenschaftlerin werden willst?«
    »Ja.« Sie lächelte. Ein Baby würde sie an den Iran binden. Sie könnte sich nicht nachts davonschleichen oder sich problemlos ein amerikanisches Visum besorgen, es sei denn, sie ließe das Kind zurück, wie ihre Mutter es getan hatte.
    »Dann bist du also zufrieden, wenn nur wir zwei in diesem großen, leeren Haus leben?«, fragte er.
    »Ja«, sagte Saba, obwohl ein Teil von ihr bereits einen Verlust betrauerte. Wie lange würde das so bleiben? Sie würde nie mit einem alten Mann schlafen müssen, eine Erleichterung, aber würde sie auch niemals die Freude empfinden, mit jemandem zusammen zu sein, den sie liebte? Wann würde es für sie einen Neubeginn geben? Wie lang noch, ehe sie fliehen konnte? Sie rührte seine Morgenmedizin in einen perfekten Sauerkirschcocktail mit viel Eis und Sirup. Er lächelte, als er einen Schluck davon trank.
    »Weißt du, meine letzte Frau war sehr dick«, sagte Abbas und blähte die Wangen auf. Saba lachte mit Tee im Mund. »Wirklich. Das stimmt. Sie war eine
khepel
. Aber ich hatte es nachts immer schön warm. Als sie gestorben war, ist mir das als Erstes aufgefallen. Das Haus hier ist so kalt und zugig, findest du nicht?« Saba nickte. »Als Zweites fiel mir auf, dass es nicht mehr nach Eingemachtem roch. Die gute Frau hat einfach alles eingemacht.« Er seufzte und nahm noch einen Bissen, ehe er sich erhob, um seinen Morgenspaziergang durch die satten, taufeuchten Dörfer zu machen. An der Tür wandte er sich um und sagte: »Saba-dschan, solange wir unser Leben so leben, wie es uns gefällt, muss niemand sonst etwas davon erfahren … von unserer privaten Absprache.«
    »Natürlich nicht«, sagte sie im Hochgefühl ihrer neu gefundenen Freiheit und ohne Abbas’ Sorge, die mögliche Gefahr für seinen Ruf und Stolz, wirklich nachvollziehen zu können.
    »Einen guten Tag, Kind«, sagte er. »Lies nicht zu viel. Davon bekommst du schlechte Augen.«
    Und so kommt es, dass Saba sich einige Monate später recht zufrieden fühlt. Manchmal, wenn sie allein ist und die Gedanken nicht abwehren kann, erinnert sich ihre Haut an die Berührung nackter Füße in der Vorratskammer oder an feuchte Hände, die sich in ihre schieben. Die Fantasien haben kein Gesicht, und sie redet sich ein, dass sie von einer jüngeren Version ihres Mannes träumt. Das hat eine gewisse Romantik. Sie wird ihrem gütigen Mann treu sein, beschließt sie, und Freude heraufbeschwören – nächtlichen Fieberattacken zum Trotz.
    Die meisten Tage verbringt sie im Haus ihres Vaters, weil sie sich dort wohlfühlt und hundert Geheimverstecke hat, um ihre Musik oder Bücher oder Zeitschriften zu verbergen, die sie noch immer bei dem Teheraner kauft. Abbas besteht nicht darauf, mit ihr zu kommen; er ist tagsüber lieber draußen bei den anderen Männern auf dem Marktplatz, raucht, spielt Backgammon und erzählt Geschichten. Außerdem freut sich ihr Vater über ihre Gesellschaft, und sie hilft ihm, die Belastung durch die ständigen Gäste zu schultern. In letzter Zeit kommen Khanom Omidi und die alten Khanom und

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