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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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näherten, und sich selbst dafür hasste, die vernünftige Entscheidung getroffen zu haben. Sie weiß noch, wie Abbas sich zu ihr ins Bett legte und wie sie sich ekelte, als seine Schlafanzughosenbeine hochrutschten und sie in der Dunkelheit seine geäderten, runzeligen Knöchel sah.
    Weiß er, dass ich wach bin?
, fragte sie sich und stellte sich weiter schlafend, die Decke zum Schutz mit beiden Fäusten gepackt. In einer, wie sie hoffte, verschlafen wirkenden Bewegung rollte sie sich mit dem Gesicht zur Wand. Und dann passierte es. Abbas schob sich dicht an sie heran und legte den Kopf neben ihren aufs Kissen. Er streckte sich aus und zog die Decke über sich. Sie hielt die Luft an, als er anfing, mit einem knochigen Finger ihr unbedecktes Haar zu streicheln. Er drückte seinen Bart an ihren Hals und schlief fast augenblicklich ein, seufzte noch einmal, wohl über die Beschwerlichkeiten und Kümmernisse des Tages, und schnarchte dann leise in ihr Haar.
    In dieser Nacht blieb Saba stocksteif liegen, hielt unaufhörlich Wache über ihren Körper. Sie überlegte sich, wie sie den unvermeidlichen Albtraum mit Lügen und Versprechungen und schlauen Tricks hinauszögern könnte. Doch bald schlief auch sie ein, und als sie nur drei Stunden später wieder wach wurde, schlief Abbas immer noch, das buschige Kinn nach wie vor an ihren Hals gedrückt. Und da wurde Saba von einer zweiten Empfindung erfasst: köstlicher Erleichterung. Sie entzog sich vorsichtig Abbas’ dünnem Arm, schlich in sein Schlafzimmer und holte ein paar von ihren Tageskleidern. Sie zog sich rasch an und ging in die Küche, um Frühstück zu machen. Dabei erlebte sie die dritte deutliche Empfindung dieser seltsamen Nacht: den freudigen Kitzel der Hoffnung. Konnte es sein, dass Abbas zu alt war für … das eine? Vielleicht würde sie nie mehr tun müssen als das hier.
    Am nächsten Abend wartete Saba darauf, ob sich der nächtliche Besuch wiederholen würde. Abbas hatte den ganzen Tag lang kein Wort darüber verloren. Aber er wirkte glücklicher als sonst. Er beschwerte sich nur einmal über seinen Joghurt, und als sein Tee zu heiß war, grummelte er vor sich hin und pustete darauf, bis er abkühlte. Saba begann zu fürchten, dass die vergangene Nacht nur ein Auftakt gewesen war und Abbas beim nächsten Mal mehr erwarten würde. Doch der alte Mann kam fast lautlos in ihr Zimmer geschlichen, schlüpfte unter die Decke und schmiegte seinen müden Kopf an Sabas Schulter, um dann fast augenblicklich einzuschlafen.
    Sechzehn Nächte lang änderte sich, bis auf ein paar kleine Forderungen, nichts in Sabas Bett. In manchen Nächten zog er sie eng an sich und schlang einen mageren Arm um ihren Oberkörper. In anderen Nächten klagte er über die Kälte und murrte, sie sollte ihm nicht den Rücken zuwenden. Oftmals bat er sie, ihm die Schultern und den Rücken zu kratzen, eine Aufgabe, die Saba angesichts der trockenen Haut und borstigen Haare an seinem Körper abstoßend fand. Hinterher sagte er stets seltsam kleinlaut: »Danke, Kind.« Nach einer Weile kam er bereits in ihr Zimmer, ehe sie zu Bett ging, und vollführte sein ausgeklügeltes Zu-Bett-geh-Ritual neben ihr. Er bat sie, seine Medizin in einer Tasse mit Sauerkirschsaft und Eiswasser zu verrühren. Jeden Abend stutzte er sich die Fingernägel auf exakt einen Millimeter Länge, schnitt sich die Armhaare mit einer winzigen Schere und faltete seine schmutzigen Socken in gleichmäßige Quadrate, bevor er sie zum Waschen ordentlich übereinanderlegte. »Irgendjemand schaut immer zu«, sagte er, »und jeder soll wissen, dass ich sauber und gepflegt bin.«
    Allmählich verflüchtigte sich Sabas Angst. Abbas schien nicht vorzuhaben, diese Ehe zu vollziehen, zumindest mit nichts anderem als der quälenden Intimität, ihm bei der Körperpflege zuschauen zu müssen. Jede Nacht beobachtete sie ihn und zählte insgeheim die vielen geistigen Störungen, die in dieser Kleinstadt unbehandelt blieben. Jeden Tag sagte sie sich, sie könne sich entspannen. Er war alt. Offensichtlich wollte er nur deshalb eine Frau, um sein Ansehen zu steigern – um seine Jugendlichkeit zu beweisen, seine Bemühungen, eine Familie zu gründen. Sie bedeutete ihm nicht mehr als ein Paar perfekt gefaltete Socken und hatte daher nichts zu befürchten. Aber etwas in ihr wollte sich vergewissern, dieser nächtlichen Bedrohung ein Ende bereiten. Eines Morgens beschloss sie, etwas zu sagen.
    Er hatte sich gerade erkundigt, wie sie geschlafen

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