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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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gewundenen, von Bäumen gesäumten Straßen zu kleinen Läden und Märkten, sammelt die Lebensmittelmarken der anderen ein. Sie suchen die Geschäfte auf, die angeblich an diesem oder jenem Tag Grundnahrungsmittel reinbekommen haben, folgen den Gerüchten von Laden zu Laden, erstehen die wichtigsten Dinge, die aus Gründen der Gerechtigkeit täglich von wechselnden Geschäften angeboten werden.
Agha Maziar hat heute Eier. Iraj Khan hat die Hühnerlieferung für diese Woche bekommen.
    Wenn möglich, kauft Saba keine rationierten Lebensmittel aus Massenproduktionen. Sie kann es sich leisten, teure Bio-Eier oder -hühnchen direkt bei hiesigen Bauern zu kaufen. Manches bekommt sie auf dem Schwarzmarkt. Doch Zucker, Speiseöl, Butter und importierte Artikel müssen auf dem üblichen Weg erstanden werden. Bevor der Krieg endete, packten Händler, die das Glück hatten, exklusiv an lebenswichtige Waren zu kommen, sie mit irgendwelchem Ramsch zusammen, der sich als unverkäu f lich erwiesen hatte und den sie loswerden wollten.
Eier werden nur an Kunden verkauft, die gleichzeitig eine Fliegenklatsche erwerben. Wer Milch möchte, muss auch Abflussreiniger kaufen. Zum Zucker heute mal ein Toiletteneimer gefällig, Khanom? Nur ein Vorschlag …
Manche Ladenbesitzer versuchen das immer noch, und Saba verstaut die nutzlosen Artikel in ihrem riesigen Abstellraum. Abbas verabscheut Durcheinander im Haus.
    In den ersten Tagen ihrer Ehe hasste sie Abbas dafür, dass er doch nicht so blind war, wie ihr Vater versichert hatte. Er warf ihre, wie er glaubte, gesamte amerikanische Musik weg. Er ging akribisch ihre Kleidung durch und sortierte alle grellen oder bunten Sachen aus. Er inspizierte sogar ihre persönlichen Hygieneartikel, sah sich jeden einzelnen genau an und warf alles weg, was nicht seinen überspannten Maßstäben entsprach. Anders als ihre Mutter, die Sabas Zimmer Jahre zuvor nach Dingen durchstöbert hatte, die von Eitelkeit zeugten, suchte Abbas nicht nach verbotenen Rasierern, sondern nach unsauberen; er machte nicht Jagd auf frivole Pinzetten, sondern ärgerte sich über das kleinste Haar, das daran klebte. Er stellte tausend lächerliche Ansprüche. Khanom Omidi nannte es
vasvas
, das persische Wort für diesen zwanghaften Charakterzug, der bei vielen Menschen zu finden ist. Er beschwerte sich, dass sein Abendessen nie warm genug war, dass sein Joghurt nicht dick genug war, dass seine Schale mit Granatapfelkernen nicht frei von Fruchtfleisch war. Wieso nahm Saba ihm in seinem Alter ein paar Marotten übel? Und wieso ging sie aus dem Haus, ohne vorher diesen Fleck da hinter dem Ofen wegzuwischen?
    Doch in der Nacht, als Abbas zum ersten Mal zu ihr ins Schlafzimmer kam, zwei Monate nach der Hochzeit, verzieh Saba ihm all seine Eigenheiten. Zwei Monate, und er hatte nicht ein einziges Mal verlangt, das Bett mit ihr zu teilen. Hatte nicht ein einziges Mal versucht, sie anzufassen. Hatte dergleichen nie auch nur angedeutet. Er wies ihr ein kleines Schlafzimmer gegenüber von seinem eigenen zu, mit Bett, Nachttisch und Lampe. Es war ein Gästezimmer. Wie der Rest des Hauses war es im westlichen Stil eingerichtet, mit Stühlen und Betten statt Matten. Er bat sie, ihre Kleidung in seinem Zimmer unterzubringen, wie es bei Eheleuten üblich war. Er bat sie, im Gästezimmer keine Spuren zu hinterlassen – falls neugierige Besucher oder eine verirrte Küchenhilfe hineinschauten. Jeden Abend, wenn sie sich in ihre jeweiligen Schlafräume zurückzogen, murmelte er mit müder Stimme: »Gute Nacht, Kind. Schlaf gut.« In diesen Nächten kurz nach der Hochzeit fragte sie sich:
Erwartet er, dass ich zu ihm komme?
Und beschloss, dass sie das niemals tun würde.
    Zwei Monate nach ihrer Heirat, Saba war gerade kurz vor dem Einschlafen, bewegte sich ihre Türklinke, und da war er – stand in seinem langen Hemd und einer alten Schlafanzughose da und sah noch kleiner und gebrechlicher aus als tagsüber. Sie bekam Panik bei dem Gedanken, was gleich geschehen würde. Wenn sie sich jetzt an diese Nacht erinnert, fallen ihr drei Empfindungen ein, die sie quälend langsam nacheinander erfassten. Die erste war eine so starke Reue, dass sich ihr Magen verkrampfte –
Warum bin ich nicht nach Teheran gegangen? Jedes andere Mädchen wäre nach Teheran gegangen.
Sie erinnert sich, wie sie die Lippen zusammenpresste und aus halb geschlossenen Augen spähte, um mitzubekommen, was er tun würde, wie sie seine Schritte hörte, die sich dem Bett

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