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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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war das? Verschwand ihre Mutter eine Woche danach? Einen Monat danach? An jenem Tag sagte Khanom Mansuri fast dasselbe zu Sabas Mutter – weil sonst niemand einen
tanur
hatte und sie Brot für ihren Bruder backen wollte, der aus dem Süden kam und nicht daran gewöhnt war, zu jeder Mahlzeit Reis zu essen.
Ich verspreche, in zehn Tagen mache ich Ihnen keine Umstände mehr.
    »Das ist doch Wahnsinn. Wir lassen nicht zu, dass Sie sich
das
antun«, sagt Agha Hafezi.
    »Da gibt’s nichts zu tun, Agha-dschan. Ich bin alt. Und ich hab schon lange nicht mehr gut geschlafen.«
    Und so warten sie. Khanom Mansuri wird gewaschen, in ein Leichentuch gehüllt und in Agha Hafezis höhlenartigem Lagerraum aufbewahrt, der nur ein kurzes Stück Weg von dem Haus mit seiner westlichen Küche und den Reissäcken, dem altertümlichen
tanur
-Ofen und Sabas geliebter Vorratskammer entfernt liegt.
    Am nächsten Tag kommt Mullah Ali. Als er von dem Plan erfährt, tobt er. »Das dulde ich nicht. Es ist falsch und verstößt gegen die Vorschriften des Islam. Sie muss sofort bestattet werden.«
    Noch nie hat Saba den Mullah inbrünstiger gehasst. Was ist mit all den Gesetzen, die er geflissentlich übersehen hat, wenn es um sein Vergnügen ging? Was ist mit den Festen? Was ist mit Mustafa, der ungestraft davongekommen ist? Jetzt ist nun wirklich nicht der Moment, sich an die Buchstaben des Gesetzes zu halten. »Was schlagen Sie vor?«, fragt sie kalt.
    Der Mullah denkt kurz nach und wendet sich dann Agha Hafezi zu. »Wir werden sie jetzt beerdigen und ihm sagen, sie wäre noch im Lagerraum – nur solange seine Trauer noch so frisch und schmerzhaft ist. Dann bestellen wir einen Grabstein mit ihren beiden Namen darauf, um ihn zu beruhigen. Natürlich werden wir auch einen richtigen benötigen. Ich bin sicher, nach einer Weile hat er ein Einsehen, und wir können heimlich still und leise ihren eigenen Stein auf das Grab stellen«, fügt er auf Gilaki hinzu. »Hafezi, können Sie das ermöglichen?«
    »Selbstverständlich«, sagt Sabas Vater, der frohen Herzens alles bezahlen wird, was den Leichnam aus seinem Lagerraum schafft. Es ist eine gute Lösung, voller praktischer Halbwahrheiten und
maast-mali
.
    Tagelang wacht Saba fast rund um die Uhr über den trauernden Witwer und passt auf, dass er sich nichts antut. Sie erzählt ihm Geschichten, zeigt ihm all ihre liebsten Fernsehserien, versucht, ihn zum Essen zu bewegen. Sie hält sich an die Lügengeschichte, erzählt ihm, dass Khanom Mansuri im Lagerraum auf ihn wartet und er sie nur deshalb nicht besuchen kann, weil sie kühl und trocken bleiben muss.
Oh ja, alles in Ordnung
, murmelt sie, als würde sie vertuschen, dass ein Verwandter im Gefängnis sitzt. Bald wird ihr klar, dass sie sich eigentlich keine Gedanken über einen möglichen Selbstmord machen muss, weil Agha Mansuri das für eine Sünde hält. Beunruhigender ist dagegen, dass der alte Mann fest entschlossen ist, eines natürlichen Todes zu sterben, damit er zu seiner Frau kann. Er tut alles Erdenkliche, um die Götter zu überlisten. Er entfernt so ganz nebenbei die Etiketten von seinen Medikamenten, sodass Saba sich jedes Mal, wenn er welche eingenommen hat, vergewissern muss, ob sie auch an ihrem korrekten Platz stehen (sie tun es nie), »vergisst«, die Öfen und Lampen zu löschen, lädt kalte Luft und Schakale ein, durch die stets offenen Fenster seines kleinen Hauses aus Holz und Reisstroh zu ihm zu kommen. An einem guten Tag, als er sich auf ein Gespräch einlässt, erfährt sie, dass er fünfzig Jahre lang jeden Tag das Gleiche gegessen hat, nämlich das
baghaleh ghatogh
seiner Frau mit Reis. Saba hat ihn dieses Gericht früher schon essen sehen, ohne Besteck, immer mit eingelegtem Knoblauch und Bergen von weißem Reis, dessen einzelne Körner er mit Daumen und zwei Fingern zu einer buttrigen Kugel zusammenknetete. Saba staunte über die beeindruckend großen Happen, die er mit nur diesen drei Fingern formen konnte. Vielleicht wird sie versuchen, Khanom Mansuris berühmtes Gericht für ihn zuzubereiten. Schließlich hat sie die Aufgabe, ihn am Leben zu halten.
    Ein paar Tage lang denkt sie nicht mehr an Dr. Zohreh und die zahllosen Ungerechtigkeiten gegen Frauen und widmet sich stattdessen ganz diesem einen schwachen Greis. Tagelang probiert Saba, das Gericht seiner Frau nachzukochen, doch Agha Mansuri äußert sich stets traurig und enttäuscht: »Ein bisschen mehr Knoblauch, mein Kind. Nein, nein, weniger Dill … ach,

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