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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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sich eine Hälfte aufs Ohr setzen kann, wie sie das als Kinder gemacht haben. Als Ponneh zur Toilette geht, streckt Reza den Arm aus, berührt Sabas Hand und flüstert: »Verzeihst du mir den Tag damals? Es tut mir leid, dass ich es nicht stärker versucht hab.« Sie nickt und wendet den Blick ab. Er beugt sich vor und flüstert ihr ins Ohr. »Wenn der alte Mann stirbt, wirst du gerade die Blüte deiner Schönheit erreicht haben.«
    Sie stößt ihn weg, lenkt sich ab, indem sie im Geist alle Möglichkeiten durchgeht, wie sie Dr. Zohreh kontaktieren kann. Sie will das allein machen, ohne Ponneh. »Hör auf, solche Spielchen mit mir zu spielen«, sagt sie. »Wir sind keine Kinder mehr. Das ist beleidigend.«
    Stirb nur für jemanden, der wirklich für dich brennt
, hat Khanom Basir mal gesagt.
    Er blickt verwirrt. »Ich spiele nicht«, sagt er. »Du bist meine Freundin, Saba-dschan. Denkst du, ich kann meine Freunde einfach so ersetzen, als hätte es sie nie gegeben? Dein Platz hier ist leer.« Er nimmt ihre Hand und legt sie auf seine Brust, aber sie zieht sie weg. »Ich hab dir ein Entschuldigungsgeschenk mitgebracht, das Beste, was für mich gerade noch erschwinglich war. Ich bin dafür extra nach Rasht gefahren.« Er zieht ein altes Buch mit kaputtem Rücken aus seiner Jacke. »Amerikanische Geschichten«, sagt er stolz, und sie drückt es sich an die Brust und beschließt, ihm niemals zu verraten, dass das Buch entweder auf Deutsch oder Holländisch ist. Er sagt: »Ich hab sogar versucht, Bekanntschaft mit dem alten Mann zu schließen, deinem Abbas Agha, damit ich dich besuchen kann. Er war auf dem Marktplatz, und ich hab ihn nach seinem Lieblingsdichter gefragt, ihm angeboten, Besorgungen für ihn zu machen. Ich hab alles probiert. Aber der aufgeblasene Alte hat gedacht, ich wollte Geld, und hat mich weggescheucht.«
    Saba muss lachen, und als sie ihn gerade erneut wegstößt, kommt Ponneh zurück. »Was ist denn so lustig? Ich brauch jetzt einen guten Witz.« Sie steckt sich die nächste Zigarette an und setzt sich im Schneidersitz in die Ecke.
    Dann fliegt die Tür der Vorratskammer auf, und Ponneh wirft hastig die halb aufgerauchten Kippen in den Abfluss. Die Flasche ist leer, aber Reza lässt sie fallen, und sie rollt laut scheppernd in der Dunkelheit gegen Konservendosen. Saba geht rasend schnell alle möglichen Entschuldigungen durch und landet schließlich bei:
Ich bin verheiratet und kann tun und lassen, was ich will.
Doch ehe sie etwas sagen kann, erhascht sie einen Blick auf ihren Vater, weiß im Gesicht und tief gebeugt in der offenen Tür. Seine Augen sind rot, und sein Blick ist so umnebelt, dass er die verbotenen Rauschmittel gar nicht bemerkt haben kann.
    »Kinder, wir müssen gehen«, sagt er leise. »Saba-dschan, komm mit, Liebes.«
    Sofort spürt Saba ein Loch in der Welt. Etwas Kostbares ist verschwunden, und in wenigen Sekunden wird ihr Vater ihr sagen, was. Sie greift sich an den Hals und beginnt zu husten. Reza stürzt herbei, um sie zu halten, eine Reaktion aus einer fernen Vergangenheit, doch er tritt zurück, als ihr Vater als Erster bei ihr ist. Sie schluckt schwer, aber das Wasser ist so tief, und sie kann nicht hinaus.
    »Was ist passiert?«, wispert Ponneh.
    »Khanom Mansuri …«, setzt ihr Vater an und verstummt dann. Saba kann ihm ansehen, wie er es sich anders überlegt, die Worte umformuliert, die er sich wahrscheinlich von dem Moment an zurechtgelegt hatte, als er die Tür hinter dem Überbringer der Nachricht schloss. Er blickt besorgt auf Sabas Hand, die sie um den Hals gelegt hat, und sie lässt sie sinken. »Agha Mansuri ist jetzt ganz allein. Er wird eure Hilfe brauchen.«
    Den Weg von der Vorratskammer zu Agha Mansuris Haus nimmt Saba kaum wahr. Ihr Vater erzählt ihnen, was passiert ist. Khanom Mansuri ist im Schlaf gestorben, in die Arme des Mannes geschmiegt, mit dem sie fast siebzig Jahre lang verheiratet war. Saba versucht, es sich vorzustellen, und es fällt ihr leicht. »Agha-dschan«, flüstert Khanom Mansuri ihm leise zu, als sie einschläft, »mein Mund ist so trocken«, und er steht schwerfällig von ihrer Bodenmatte auf, um ihr etwas Wasser zu holen. Als er zurückkommt, atmet sie sacht, und er stellt das Wasser neben dem Bett auf den Boden. Vielleicht entzündet er eine Öllampe. Er schließt sie in die Arme. Als er erwacht, ist ihre Haut kalt und aschfahl. Das Wasser unberührt. Und er schreit auf und ruft nach Agha Hafezi, damit er kommt und ihm

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