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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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ist auch egal, ich sterbe sowieso bald.« Er wartet gebückt – sein Körper weigert sich, aufrecht zu stehen – direkt hinter Sabas Schulter und beobachtet unverwandt ihre Hände. Sie weicht die Limabohnen ein und enthäutet sie. Agha Mansuri schaut zu, als sie die Bohnen brät und nach seiner Anweisung eine Extraportion Knoblauch, Dill, Kurkuma und Eier hinzugibt. Sie verteilt die Mischung über ein lockeres Bett aus weißem Reis und geizt bei der gesamten Zubereitung nicht mit Butter. Schließlich nimmt er einen Bissen und sagt: »Du hast es versucht, Saba-dschan. Du hast es versucht. Aber ihre Hand kann ich einfach nicht schmecken.«
    »Wirst du es trotzdem essen?«, bettelt sie, und als er es tut, ist sie dankbar, als hätte er ihr einen großen Gefallen getan.
    Am siebten Tag nach dem Tod seiner Frau überwacht Agha Mansuri die Zubereitung von
halva
und Datteln für die Trauergäste. »Wir brauchen reichlich, Saba-dschan, denn wenn wir unseren Nachbarn den Mund versüßen, werden sie für die Seele meiner Frau beten, was unerlässlich ist, wenn wir in ein paar Tagen zusammen sein werden.«
    »Bestimmt ist sie jetzt im Himmel«, sagt Saba, fest überzeugt, dass selbst ein christlicher Gott Khanom Mansuri zu sich aufnehmen würde. Sie zählt die
halva
-Stücke trotzdem durch, nur für alle Fälle.
    Er stammelt beinahe ängstlich: »Gehen wir lieber auf Nummer sicher.« Dann beschwört er sie, nach seinem Tod genau dieselbe Menge
halva
und Datteln zuzubereiten.
    Während er durch den Ort geht und zusammen mit Saba
halva
verteilt, rühmt Agha Mansuri seine Frau zärtlich und hingebungsvoll. Wie ein junger Liebender schwärmt er davon, wie schön sie an ihrem Hochzeitstag war, wie fürsorglich sie für ihre Familie sorgte, wie liebevoll sie ihr gemeinsames Haus einrichtete. Dann redet er über die »köstliche Hand« seiner Frau, und Saba nimmt sich fest vor, dass auch sie so etwas erleben wird, und wenn sie hundert Jahre warten muss und alle anderen überlebt. Vielleicht wird sie es mit Reza erleben, vielleicht wird sie ihren Geliebten erst viele Jahrzehnte später finden. Sie wird ihn pflegen, wenn sie beide alt und gebrechlich sind und keiner mehr da ist, um sich um sie zu kümmern.
    Acht Tage vergehen, und Saba macht sich immer mehr Sorgen. Sie sieht, wie sich die Runzeln in Agha Mansuris braunem Gesicht zu Gräben vertiefen und seine haselnussbraunen Knopfaugen in ihren Falten verschlingen. Sie sieht, wie sich seine Wangen gen Boden strecken, während die Wölbung in seinem Rücken entschlossen himmelwärts strebt. Was wird geschehen, wenn die Frist abgelaufen ist? Wie soll dieser arme Mann weiterleben? Sie erzählt ihrem eigenen Mann von ihren Ängsten, da er den Schmerz erlebt hat, eine Frau zu verlieren.
    »Er wird weiterleben«, sagt Abbas rundheraus. »Er wird drüber wegkommen.«
    »Er wirkt so schwach«, sagt sie. »Er ist fest entschlossen zu sterben.«
    »Mach dir keine Sorgen, Kind«, lautet Abbas’ einziger Kommentar.
    Saba sieht ihren Mann an, und der friedliche Ausdruck in seinem Gesicht gibt ihr Zuversicht. Sie denkt daran, wie zärtlich Agha Mansuri seine Frau betrachtete, wenn er ihren Obstbrei zubereitete und auf ihren Tee pustete, und daran, wie sie einst für Reza empfand. Dergleichen ist noch immer möglich, selbst an diesem Ort. Sie spürt einen tiefen Mut, den Wunsch, etwas für sich selbst zu tun, ein Gefühl für ihren eigenen sterbenden Körper. Und den von Abbas.
    »Abbas«, beginnt sie zaghaft. »Kann ich dich um etwas bitten?«
    »Was du willst,
azizam

    »Ich bin sehr glücklich mit dir, ich hoffe, das weißt du.« Abbas lächelt aufrichtig, und Saba fühlt sich bestärkt, weiterzureden. »Aber wir sind so weit auseinander … altersmäßig.«
    Sie sieht Abbas an, dass er – wie alle Männer – vermutet, sie beweine bereits die Möglichkeit seines Todes. »Wir haben noch viele gemeinsame Jahre«, beruhigt er sie.
    »Ja, aber danach …« Saba senkt den Blick.
Bin ich noch immer Jungfrau
. Seit jenem Morgen vor einigen Monaten haben sie nicht mehr über ihr Arrangement gesprochen. Abbas schweigt, also fährt sie fort. »Würdest du es gutheißen, wenn ich ein zweites Mal heirate?« Sie fragt sich, ob sie ihm versichern soll, dass sie niemandem von seinem persönlichen Versagen erzählt hat und das auch niemals tun wird. Das Lächeln ist aus seinem Gesicht gewichen, und sie fürchtet, bereits zu viel gesagt zu haben. Es kann ihm unmöglich behagen, ihre Jugend und die

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