Ein Todsicherer Job
die großen, orangefarbenen Türme der Golden Gate Bridge aus dem Nebel aufragen wie die Möhrennasen schlafender Zwillingsschneemänner. Auf den Heights hatte die Morgensonne den Himmel bereits aufgebrochen, und überall eilten Arbeiter herum und pflegten Gärten, in denen Villen standen.
Als er Michael Mainhearts Anwesen betrat, fiel Charlie vor allem auf, dass er niemandem auffiel. Zwei Männer arbeiteten im Garten, und Charlie winkte ihnen, aber sie winkten nicht zurück. Dann drängte ihn der Postbote auf seinem Weg von der großen Veranda zur Straße ins taufeuchte Gras ab, ohne sich zu entschuldigen.
»Oh, Verzeihung!«, sagte Charlie sarkastisch, aber der Postbote trug Kopfhörer und hörte irgendwas, das ihn dazu veranlasste, wie eine Taube auf Speed mit dem Kopf zu nicken, und er nickte einfach weiter. Charlie wollte ihm schon etwas atemberaubend Geistreiches nachrufen, überlegte es sich aber anders, denn zwar mochte der letzte Postbotenamoklauf, der ihm zu Ohren gekommen war, schon einige Jahre zurückliegen, doch so lange sich der Begriff »postalisch« noch auf die Wahl eines Versandweges bezog, schien es ihm, als sollte er sein Glück nicht überstrapazieren.
An einem Tag beschimpfte ihn eine wildfremde Frau als »geisteskrank«, am nächsten rempelte ihn ein Staatsdiener vom Gehweg: Langsam wurde diese Stadt zum Dschungel.
Charlie klingelte und wartete neben der vier Meter hohen Bleiglastür. Eine Minute später hörte er leise, schlurfende Schritte, und hinter dem Glas bewegte sich eine kleine Silhouette. Langsam ging die Tür auf.
»Mr. Asher«, sagte Michael Mainheart, »danke, dass Sie kommen konnten.« Der alte Herr versank in einem Hahnentrittanzug, den er wohl vor dreißig Jahren gekauft hatte, als er noch kräftiger gebaut war. Er reichte Charlie die Hand, und sie fühlte sich an wie Pergamentpapier, kühl und etwas staubig. Ein kalter Schauer lief Charlie über den Rücken, als ihn der alte Mann in eine gewaltige, marmorne Rotunde führte, mit Buntglasscheiben, die bis zur gewölbten Decke in fünfzehn Metern Höhe reichten. Eine geschwungene Treppe führte zu den oberen Flügeln des Hauses. Charlie hatte sich schon oft gefragt, wie es war, in einem Haus mit Flügeln zu wohnen. Wie sollte man da je seine Autoschlüssel wiederfinden?
»Kommen Sie hier entlang«, sagte Mainheart. »Ich zeige Ihnen, wo meine Frau ihre Sachen verwahrt hat. «
»Mein Beileid«, sagte Charlie automatisch. Er war schon unzählige Male zu Leuten nach Hause bestellt worden. Man darf nie wie ein Geier wirken , hatte sein Vater immer gesagt. Immer die Ware loben. Sie mag in deinen Augen Plunder sein, aber vielleicht wohnt ihre Seele darin. Lobe, aber zeige dich niemals begehrlich. Auf diese Weise kannst du Gewinn machen und jedermanns Würde wahren.
»Holla!«, sagte Charlie, als er dem Mann in einen begehbaren Schrank folgte, der so groß wie seine ganze Wohnung war. »Ihre Frau hatte einen exquisiten Geschmack, Mr. Mainheart.«
Dort hingen reihenweise Designerkleider erster Güte, alles von Abendgarderobe bis zu mannshohen Regalen voller Strickkostümen, nach Farben und Förmlichkeit geordnet – ein opulenter Regenbogen aus Seide und Leinen und Wolle. Kaschmirpullis, Mäntel, Umhänge, Jacken, Röcke, Blusen, Unterwäsche. Der Schrank war T-förmig, mit großem Frisiertisch samt Spiegel in der Mitte und Accessoires in beiden Flügeln (es gab sogar einen Schrank mit Flügeln!), die Schuhe auf der einen Seite, Gürtel, Schals und Handtaschen auf der anderen. Ein ganzer Flügel voller Schuhe, italienisch und französisch, handgefertigt aus den Häuten von Tieren, die ein glückliches, sorgenfreies Leben gehabt hatten. Riesige Spiegel flankierten den Frisiertisch, und Charlie sah sich selbst und Michael Mainheart darin, er selbst im gebrauchten, grauen Nadelstreif und Mainheart im übergroßen Hahnentritt, Studien in Grau und Schwarz, trist und leblos in diesem blühenden Garten.
Der alte Mann trat an den Stuhl vor dem Frisiertisch und nahm schnaufend Platz. »Ich vermute, Sie werden eine Weile brauchen, um alles einzuschätzen«, sagte er.
Charlie stand mitten im Schrank und sah sich einen Moment lang um, bevor er antwortete. »Es hängt davon ab, was Sie weggeben möchten, Mr. Mainheart.«
»Alles. Einfach alles. Ich ertrage ihre Nähe nicht.« Seine Stimme brach. »Ich kann nicht mehr.« Er wandte sich von Charlie ab, starrte die Schuhe an, versuchte zu verbergen, wie aufgewühlt er war.
»Verstehe«,
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