Ein Todsicherer Job
ihn brauchen.« Charlie deutete auf das knarrende Knie des Kaisers.
Noch immer hielt ihm der Kaiser den Stock hin. »Wisst Ihr, ich huldige nicht den materiellen Werten.«
»Das weiß ich doch.«
»Dann wisst Ihr auch, dass meiner Überzeugung nach die Begehr fast immer einen Quell menschlichen Leids darstellt. Und nichts ist verabscheuungswürdiger als die Begehr materiellen Vorteils.«
»Ich führe mein Geschäft nach genau denselben Prinzipien. Dennoch bestehe ich darauf, dass Ihr den Stock behaltet. Würdet Ihr mir den Gefallen tun?« Charlie merkte, dass er die förmliche Sprache des Kaisers übernahm, als wäre er irgendwie an einem Königshof gelandet, wo man einen Edelmann an den Brotkrümeln in seinem Bart erkannte und sich die königliche Garde nicht zu schade war, sich die Eier zu lecken.
»Nun, als Gefallen will ich es gern tun. Es ist ein hübsches Stück Handwerkskunst.«
»Vor allem aber ermöglicht es Euch, Eure Runden schneller zu drehen.«
Da gab der Kaiser preis, was in seinem Herzen vor sich ging, denn er zeigte ein breites Grinsen und drückte den Stock an seine Brust. »Er ist wahrlich hübsch. Charlie, ich muss Euch etwas anvertrauen, aber ich bitte Euch, mir die Glaubwürdigkeit eines Mannes zuzugestehen, der eben erst – gemeinsam mit einem Freund – zweier riesenhafter, rabenförmiger Schatten angesichtig wurde.«
»Selbstredend.« Charlie lächelte, obwohl er eben noch geglaubt hatte, sein Lächeln sei in den letzten Monaten irgendwo verloren gegangen.
»Ich hoffe, Ihr werdet mich nicht für gewöhnlich halten, aber im selben Augenblick, in dem ich ihn berührte, kam es mir vor, als hätte ich mein Leben lang darauf gewartet.«
Und ohne erkennbaren Grund sagte Charlie: »Ich weiß.«
Im Laden brütete Lily vor sich hin. Es war nicht ihr übliches Brüten, die Reaktion auf eine Welt, in der alle blöd waren, das Leben nutzlos, das bloße Dasein ohne Sinn und Zweck, vor allem, wenn ihre Mutter vergessen hatte, Kaffee zu kaufen. Es war ein spezifischeres Brüten, das begonnen hatte, als sie zur Arbeit kam und Ray sie darauf hinwies, dass sie an der Reihe war, das Staubsauger-Diadem zu tragen, und darauf bestand, dass sie – wenn sie denn das Diadem trug – auch wirklich den Laden durch- saugte. (Tatsächlich mochte sie das Strass-Diadem, das Charlie in einem unverhohlenen Schachzug bourgeoiser Hintertriebenheit denjenigen tragen ließ, der das tägliche Saugen und Wischen übernahm, und nur dann. Aber sie hatte was gegen das Saugen und Wischen. Sie fühlte sich manipuliert, benutzt und generell übervorteilt, und zwar auf unlustige Weise.) Heute jedoch hatte sie – nachdem Diadem und Staubsauger verstaut waren und sie sich ein paar Tassen Kaffee einverleibt hatte – weiter vor sich hingebrütet, was sich zu einer monumentalen Angstattacke auswuchs, als ihr dämmerte, dass sie diese CollegeBerufsfindungssache klären musste, denn trotz allem, was im Großen Bunten Buch des Todes geschrieben stand, war sie nicht zur finsteren Vasallin des Untergangs erwählt worden. Mist!
Sie stand im Hinterzimmer und betrachtete die Sachen, die Charlie dort am Tag zuvor gestapelt hatte: Schuhe, Lampen, Schirme, Porzellanfiguren, Spielzeug, ein paar Bücher, ein alter Schwarzweißfernseher und ein Gemälde von einem Clown auf schwarzem Samt.
»Und er sagt, das Zeug leuchtet?«, fragte sie Ray, der in der Tür zum Laden stand.
»Ja. Ich musste alles mit meinem Geigerzähler checken.« »Scheiße, Ray, wozu hast du einen Geigerzähler?«
»Scheiße, Lily, wozu hast du einen Fledermaus-Nasenstecker?«
Lily ignorierte die Frage und nahm einen Keramikfrosch, an dem ein Zettel mit der Aufschrift Kein Verkauf – Keine Deko klebte, in Charlies penibler Blockbuchstabenschrift. »Der gehört auch dazu? Der hier?«
»Bei dem ist er zuerst ausgeflippt«, sagte Ray. »Diese Sozialarbeiterin wollte ihn kaufen. Damit fing alles an.«
Lily war erschüttert. Sie wich zurück und setzte sich auf den knarrenden Drehstuhl hinter Charlies Schreibtisch. »Hast du gesehen, dass irgendwas davon leuchtet oder pulsiert, Ray? Irgendwann?«
Ray schüttelte den Kopf. »Er steht reichlich unter Stress, seit Rachel nicht mehr da ist und er für das Baby sorgen muss. Vielleicht braucht er Hilfe. Ich weiß, als ich damals aus dem Polizeidienst ausgeschieden bin... « Ray stutzte.
Draußen in der Gasse hinter dem Laden war irgendwas los, Hunde bellten und Leute brüllten, dann machte sich jemand mit einem Schlüssel an
Weitere Kostenlose Bücher