Ein Todsicherer Job
Charlie auf so ungewöhnliche Weise Totenbote geworden war. »Ich glaube, ich hatte das Wort auf einem Plattencover gelesen.«
»Macht absolut Sinn.«
»Ja, dachte ich auch«, sagte Mr. Fresh. »Noch Kaffee?«
»Bitte.« Charlie hielt ihm die leere Tasse hin. »Sie wurden also gesehen. Und so sind Sie Totenbote geworden?«
»Nein, so sind Sie einer geworden. Ich glaube, es könnte sein, dass Sie, hm...« Fresh wollte den armen Kerl nicht in die Irre führen, aber andererseits wusste er nicht wirklich, was passiert war. »Ich glaube, vielleicht sind Sie nicht so wie wir anderen. Mich hat niemand gesehen. Ich habe in Las Vegas beim Sicherheitsdienst eines Casinos gearbeitet, was irgendwann nicht mehr gut ging. Angeblich habe ich ein Autoritätsproblem. So bin ich nach San Francisco gekommen und habe diesen Laden aufgemacht, hab angefangen, mit gebrauchtem Vinyl und mit CDs zu handeln, anfangs vor allem Jazz. Nach einer Weile ging es los: die leuchtenden Seelenschiffchen. Manchmal kommen Leute damit rein, manchmal findet man sie bei Nachlässen. Ich weiß nicht, wieso und warum, es passierte einfach, und ich habe niemandem was davon gesagt. Dann kam dieses Buch mit der Post.«
»Wieder dieses Buch. Haben Sie nicht irgendwo eine Ausgabe rumliegen?«
»Es gibt nur ein Exemplar. Soweit ich weiß, zumindest.« »Und das haben Sie einfach so weggeschickt?«
»Ich habe es per Einschreiben geschickt!«, donnerte Fresh. »Irgendwer in Ihrem Laden hat dafür unterschrieben. Ich denke, ich habe alles getan, was in meiner Macht stand.«
»Okay, tut mir leid. Weiter.«
»Jedenfalls, als ich hier ins Viertel kam, war Castro eine traurige Gegend. Auf der Straße sah man nur ganz Alte und ganz Junge, alle dazwischen waren entweder tot oder hatten AIDS, gingen am Stock und zogen Sauerstoffflaschen hinter sich her. Der Tod war allgegenwärtig. Es war, als brauchte man eine Seelenwiegestation, und ich war hier und handelte mit Platten.
Zahllose Seelen kamen herein. In den ersten paar Jahren habe ich jeden Tag Seelenschiffchen gesammelt, manchmal zwei oder drei pro Tag. Sie wären überrascht, wie viele schwule Männer mit Seele in der Musikbranche sind.«
»Haben Sie alle verkauft?«
»Nein. Sie kommen und gehen. Ich habe immer welche auf Lager.«
»Aber wie können Sie sicher sein, dass die richtige Person auch die richtige Seele bekommt?«
»Das ist nicht mein Problem, oder?« Mr. Fresh zuckte mit den Schultern. Anfangs hatte er sich Gedanken darum gemacht, aber alles schien so zu laufen, wie es sollte, und er war dazu übergegangen, auf den Mechanismus beziehungsweise die Macht zu vertrauen, die dahinter stand.
»Na, wenn Sie so denken, wieso machen Sie dann überhaupt irgendwas? Ich will diesen Job nicht. Ich habe einen Job... und eine Tochter.«
»Sie müssen es tun. Glauben Sie mir, nachdem ich das Buch bekommen hatte, habe ich auch versucht, es nicht zu tun. Das versuchen alle. Zumindest diejenigen, mit denen ich gesprochen habe. Ich schätze, Sie haben schon gesehen, was passiert, wenn Sie es nicht tun. Erst hören Sie Stimmen, dann kommen die Schatten. Im Buch heißen sie Unterweltler.«
»Die Riesenraben? Oder wer?«
»Es waren nur Schatten und Stimmen, bis Sie aufgetaucht sind. Irgendwas geht vor sich. Es fing mit Ihnen an und geht mit Ihnen weiter. Sie haben denen ein Seelenschiffchen überlassen, stimmt’s?«
»Ich? Sie haben doch gesagt, es gibt einen ganzen Haufen Totenboten.«
»Die anderen würden so was nicht machen. Es können nur Sie gewesen sein. Sie haben es vermasselt. Ich glaube, Anfang der Woche habe ich einen von denen gesehen. Und als ich heute draußen unterwegs war, habe ich überall Stimmen gehört. Grauenvoll. Daraufhin habe ich Sie angerufen. Das waren Sie doch, oder?«
Charlie nickte. »Ich wusste ja nichts davon. Woher auch?« »Also haben die jetzt eine?«
»Zwei«, sagte Charlie. »Da kam eine Hand aus dem Gully. Das war mein erster Tag.«
»Tja, das war’s denn wohl«, sagte Fresh und hielt mit beiden Händen seinen Kopf. »Wir sind so gut wie geliefert.«
»Das wissen Sie doch gar nicht«, sagte Charlie, der versuchte, das Gute zu sehen. »Wir hätten auch früher schon geliefert sein können. Ich meine, wir verkaufen den Toten Secondhand-Ware. Gelieferter kann man wohl nicht sein.«
Mr. Fresh blickte auf. »Im Buch steht, wenn wir unserer Aufgabe nicht nachgehen, könnte alles schwarz und so was wie die Unterwelt werden. Ich weiß nicht, wie es in der Unterwelt ist, Mr.
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