Ein Todsicherer Job
Ray.
»Ray?«
»Ja, woher wusstest du, dass ich es bin?«
»Wusste ich nicht«, sagte Lily. »Was willst du?«
»Könntest du für ein paar Stunden rüber in den Laden kommen?« Dann, als er hörte, wie sie tief Luft holte, und ziemlich sicher war, dass sie ihn gleich beschimpfen würde, fügte er hinzu: »Fünfzig Dollar sind für dich drin.« Ray hörte sie ausatmen. Ja! Nach ihrem Abschluss am Culinary Institute hatte Lily einen Job als stellvertretende Küchenchefin in einem Bistro in North Beach gefunden, aber noch verdiente sie nicht genug, dass sie bei ihrer Mutter ausziehen konnte, und deshalb hatte Charlie sie überreden können, ein paar Schichten in Asher ’ s Secondhand einzuschieben, wenigstens bis Ersatz gefunden war.
»Okay, Ray, ich pass ein paar Stunden auf, aber um fünf muss ich im Restaurant sein, also komm nicht wieder zu spät, sonst schließ ich den Laden ab.«
»Danke, Lily.«
Charlie hoffte ehrlich, dass Ray kein Serienkiller war, trotz aller gegenteiligen Indizien. Ohne Rays Polizeikontakte hätte er diese Frau nie gefunden, und was sollte er in Zukunft machen, wenn er jemanden suchte und Ray im Gefängnis saß? Andererseits lag es vielleicht an Rays Erfahrung als Polizist, dass es keine Beweise gab. Warum allerdings sollte er im Internet philippinische Frauen suchen, wenn er jemanden umbringen wollte? Hatte er es vielleicht getan, als er auf die Philippinen geflogen war, um angeblich seine Geliebte zu besuchen? Hatte er verzweifelte Filipinas ermordet? Vielleicht war Ray ein touristischer Serienmörder. Darum kümmerst du dich später , dachte Charlie. Vorerst musste er ein Seelenschiffchen holen.
Charlies Taxi hielt vor dem Fontana , einem Apartmentkomplex, einen Block vom Ghirardelli Square entfernt, dieser alten Schokoladenfabrik unten am Hafen, die man zur Touristenmeile umgebaut hatte. Das Fontana war ein mächtiger, geschwungener Bau aus Glas und Beton, über den die Bewohner San Franciscos schon lästerten, seit er in den Sechzigerjahren errichtet worden war. Es lag nicht daran, dass er hässlich war, obwohl dem niemand widersprochen hätte, aber umzingelt von viktorianischen und edwardianischen Häusern wirkte er wie eine monströse Klimaanlage aus dem All, die in einem historischen Stadtviertel notgelandet war. Allerdings boten die Wohnungen einen wunderbaren Ausblick, es gab einen Portier, eine Tiefgarage und einen Pool auf dem Dach, so dass es – wenn man mit dem Stigma leben konnte, in einem architektonischen Sonderling zu wohnen – großartige Wohnqualität zu bieten hatte.
Die Adresse, die ihm Ray für diese Madison genannt hatte, befand sich im einundzwanzigsten Stock, wie auch – vermutlich – ihr Seelenschiffchen. Charlie war nicht sicher, wie weit seine Unbemerkbarkeit reichte (er wollte sie nicht als Unsichtbarkeit betrachten, denn das war sie nicht), hoffte aber, sie reichte einundzwanzig Stockwerke hoch. Er würde am Portier vorbeigehen müssen, wenn er zum Fahrstuhl wollte, und konnte sich nicht als Nachlasskäufer ausgeben.
Tja, wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Wenn man ihn schnappte, musste er sich eben was anderes einfallen lassen. Er wartete vor der Tür, bis eine junge Frau im eleganten Hosenanzug hineinging, dann folgte er ihr durch die Tür in die Lobby. Der Portier würdigte ihn keines Blickes.
Ray sah, wie Charlie aus dem Taxi stieg, und ließ seinen Fahrer am nächsten Block halten. Dort sprang er auf den Gehweg, warf dem Mann einen Fünfer zu, sagte ihm, er solle den Rest behalten, dann suchte er in seinen Taschen nach dem Geld, das noch fehlte, während der Fahrer ungeduldig auf sein Lenkrad eintrommelte und ihn leise auf Urdu verfluchte.
»Tut mir leid. Bin wohl schon lange nicht mehr Taxi gefahren«, sagte Ray. Er besaß ein Auto, einen schmucken, kleinen Toyota, aber der einzige freie Parkplatz weit und breit befand sich acht Blocks entfernt von seiner Wohnung, auf dem Hof eines Hotels, das ein Freund von ihm leitete, und wer in San Francisco einen Parkplatz gefunden hatte, behielt ihn, so dass sich Ray meist mit öffentlichen Verkehrsmitteln vorwärts bewegte und das Auto nur an seinen freien Tagen nahm, um die Batterie aufzuladen. Draußen vor Charlies Laden war er in ein Taxi gesprungen und hatte laut gerufen: »Folgen Sie diesem Wagen!«, was der japanischen Familie im Fond einen ordentlichen Schrecken einjagte.
»’Tschuldigung«, sagte Ray. » Konichiwa. Bin wohl schon lange nicht mehr Taxi gefahren.« Dann stieg er
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