Ein toedlicher Plan
ein Paradies für Feinschmecker. Fische aller Art auf Eisteppichen, Gemüse und Früchte, deren Namen sie kaum kannten. Rote, glacierte Enten, die an den Hälsen aufgehängt waren. Junie liebte die Enten.
Sie sieht so hübsch aus, dachte Ralph Dudley. Das einfache rosafarbene Kleid, der Strohhut, die weiße Jacke und darüber der dunkelblaue Kaschmirmantel. Seide, hatte Junie gesagt, als sie ihn zum ersten Mal angefasst hatte, in dem Glauben, alles weiche Material sei Seide. Er hatte ihr die Sachen bei Lord & Taylor gekauft. Großer Gott, hatte er gedacht, die Preise sind ja ins Aberwitzige gestiegen. Und natürlich wollte Junie nur Designermode tragen – von Perry Ellis, Calvin Klein und Laura Ashley.
Am Abend zuvor hatten sie sich in einem Theater an der West Forty-Second Street
A Christmas Carol
angeschaut. Sie hatten einen hübschen Cratchit auf einem Hocker gesehen, den humpelnden Tiny Tim, die Wandlung des Mr. Scrooge und einen fröhlichen Weihnachtsmorgen. So viel Schönes – und nur sechs Blocks von dem Haus entfernt, in dem Junie gewöhnlich für Geld mit Männern ins Bett stieg. Das Stück hatte sie verwirrt. »Als der Typ das geschrieben hat, muss er ja wohl total stoned gewesen sein.«
Sie liefen weiter in südlicher Richtung, vorbei am verdreckten, gelbsüchtig wirkenden Criminal Courts Building und weiter zum Surrogate’s Court, nach Dudleys Meinung das schönste und imposanteste Gerichtsgebäude im ganzen Staat New York. Er blieb davor stehen und kam zu dem Schluss, dass etwas Dickens’sches an dem Gemäuer war, etwas Altes, Englisches und Gentlemanhaftes. Es freute ihn sehr, dass er in Kürze zum ersten Mal in seiner Karriere in diesen erhabenen Hallen auftrat. Sie waren zu früh dran und fanden in einem der gotischen Gänge, die mehr zu einem Museum als zu einem Gerichtsgebäude passten, eine Bank, auf der sie sich niederließen. Dudley zog sein Taschentuch heraus und wischte Junie einen Fleck von der Wange. Sie wehrte sich dagegen, da sie nicht beim Lesen in ihrem Comicheft gestört werden wollte. Dudley strich ihr Haar glatt, lehnte sich etwas zurück, betrachtete ihr wunderschönes Gesicht und fragte sich, wie er das wohl je seiner verstorbenen Frau erklären konnte.
Natürlich stellte er sich nicht vor, neben ihrem Grab zu sitzen und mit ihr zu reden wie in einem alten James-Stewart- oder Jack-Lemmon-Film. Aber manchmal sah er sie in seiner Fantasie wieder vor sich, wie sie an einem der im Grunde austauschbaren Abende in ihrem Sessel saß und nähte, während er in der Zeitung las. Und dann drehte er sich zu ihr um und sagte: Emma, ich muss mit dir reden. Weißt du, ich habe da ein Problem.
Wie würde sie darauf reagieren?
Er dachte ernsthaft und gründlich darüber nach und kam zu dem Schluss, dass sie wahrscheinlich gar nicht darauf reagieren würde.
Nun ja, vermutlich hätte sie noch mehr als vorher getrunken, ja, das hätte sie wohl. Solange Emma nicht trank, war sie ihm immer eine Quelle der Kraft gewesen. Was hatte der Alkohol nur ihrem großen, alles vereinnahmenden und verletzten Ego angetan? Was immer Alkohol auch bewirken mochte, er hatte obendrein einen üblen alchimistischen Nebeneffekt.
Er glaubte auch, dass Emma sehr bald angefangen hätte, ihn zu hassen, und das nicht unbedingt wegen seiner moralischen Verworfenheit, nein, sondern deswegen, weil er eine heimliche Leidenschaft hatte, sie aber nicht. Emma hatte nie Heimlichkeiten gepflegt. Diese Frau ging ganz in der Familie auf. Ihr einziges Laster bestand in ihrer alles verschlingenden Eigenliebe. Sie wusste darum und war’s zufrieden. Das Laster ihres Mannes hingegen war wie eine Sucht, die sich damit nicht in Einklang bringen ließ. Diese Sucht war, per definitionem, absolut charakterlos und unsympathisch. Im Wettbewerb, wer verderbter sei, hätte er mit verbundenen Augen gewonnen. Und dafür betrachtete sie ihn mit noch mehr Zweifeln.
Nein, von Emma konnte er keine Hilfe für sich erwarten, noch nicht einmal Mitgefühl. Nein, da war nichts von der starken Frau, die angeblich hinter jedem großen Mann steht. Keine selbstaufopfernde gute Ehefrau. Wir haben schon ganz andere Dinge durchgestanden, da werden wir auch diese Klippe umschiffen.
Ralph Dudley hatte seine Ehe überlebt, seine Pflicht getan und sein Geheimnis bewahrt. Und jetzt saß er hier wie ein alter Narr inmitten der rokokohaften Schönheit und Unbeschwertheit des Gerichtsgebäudes. Der König der Narren, der eine fünfzehnjährige Nutte adoptieren
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