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Ein toedlicher Plan

Titel: Ein toedlicher Plan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Deaver
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abgewetzten Lesesesseln, Drucken von Segelschiffen aus dem 19. und von Fuchsjagden aus dem 18. Jahrhundert. Durch ein winziges Fenster konnte man eine Ziegelsteinwand und einen kleinen Ausschnitt vom Hafen erkennen. Auf dem Schreibtisch befanden sich ein Messingaschenbecher, das Foto eines jungen Mädchens in einem ovalen Rahmen, ein Dutzend Programme der Metropolitan Opera, ein Terminkalender und ein Buch mit Entscheidungssammlungen, der
Supreme Court Reporter.
    Taylor öffnete das Buch und beugte sich darüber. Ihre Augen, die hinter dem heruntergefallenen Haar verborgen waren, blickten jedoch nicht auf die Spalten eng gedruckten Textes, sondern auf Ralph Dudleys ledernes Notizbuch, das für diese Woche aufgeschlagen war. Am Samstagabend, dem Samstag, an dem der Wechsel verschwunden war, war ein W. S. eingetragen. Taylor blätterte in dem Kalender. Dieselben Initialen tauchten regelmäßig ein- oder zweimal in jeder Woche auf. Ebenso am kommenden Freitagabend. Taylor schlug den Teil mit den Adressen auf, doch dort war niemand mit diesem Buchstaben eingetragen.
    »Kann ich Ihnen helfen?«
    Taylor zwang sich, nicht zusammenzuzucken. Sie legte den Zeigefinger auf das aufgeschlagene Gesetzbuch, so als wollte sie die Stelle nicht verlieren, die sie gerade gelesen hatte, und sah langsam auf.
    Ein junger Mann, den sie nicht kannte, stand in der Tür. Er war blond, zu dick und ungepflegt. Und er machte ein mürrisches Gesicht.
    »Ralph hatte sich diesen Band vom
Reporter
ausgeliehen, und ich musste dringend etwas nachschlagen.« Jedes Wort vibrierte unter ihrem beschleunigten Herzschlag. »Und wer sind Sie?«
    »Todd Stanton. Ich arbeite für Mr. Dudley.« Er legte den Kopf schief und sah sie an. »Sind Sie Anwältin?«
    »Taylor Lockwood, Anwaltsgehilfin.« Sie bemühte sich, indigniert zu klingen.
    »Oh.« Seine Stimme war noch ablehnender als seine Miene. »Weiß Mr. Dudley, dass Sie sich in seinem Büro aufhalten?«
    »Nein.«
    »Wenn Sie etwas brauchen, können Sie sich an mich wenden. Mr. Dudley mag es nicht …«, er schien nach dem am wenigsten verunglimpfenden Begriff zu suchen, »… wenn jemand, der nicht zu seinem Team gehört, sich in seiner Abwesenheit in seinem Büro aufhält.«
    Taylor kehrte ihm den Rücken zu und las den Absatz zu Ende. Es war ein ziemlich langer Absatz. Stanton trat von einem Fuß auf den anderen und sagte schließlich: »Verzeihen Sie bitte …«
    Taylor schloss das Buch und marschierte nach draußen. »Aber ja«, erklärte sie im Vorbeigehen, ohne Stanton eines Blickes zu würdigen, »ich verzeihe Ihnen.«
    Vor allem war er ein Gentleman.
    Zum Beispiel verließ Ralph Dudley so gut wie nie sein Apartment in der East Seventy-Second Street, ohne sich eine Krawatte umgebunden zu haben, ganz gleich, ob er zu einem Spaziergang im Park, zum Einkaufen in den Supermarkt oder ins Carlyle unterwegs war. Es kam ihm überhaupt nie in den Sinn, sich die Frage zu stellen, ob er heute eine Krawatte tragen sollte oder nicht. Automatisch suchte er sich eine aus und band sie um. Genauso gehörte es zu seinen Angewohnheiten, jeden Sonntag seine Schuhe auf Hochglanz zu polieren, abends seine Manschettenknöpfe ins Kästchen zurückzulegen und niemals für mehr als drei Tage Brot einzukaufen.
    Gentlemen trugen eben Krawatten. Punktum.
    Und im Büro trugen sie dunkle Anzüge, weiße Hemden und Socken mit Haltern. Dazu natürlich Aktenkoffer und nicht etwa Umhängetaschen. Wenn Gentlemen rauchten, zündeten sie sich ihre Zigaretten mit Feuerzeugen aus Sterlingsilber und nicht mit Einwegfeuerzeugen aus Plastik an. Und sie achteten darauf, dass die Asche an der Zigarettenspitze nie länger als einen halben Zentimeter wurde.
    Ralph Dudley war dreiundsechzig, groß und dünn. Er hatte eine militärisch gerade Körperhaltung und tat sich Brillantine in das wenige noch verbliebene weiße Haar.
    Am heutigen Mittwochnachmittag befand er sich nicht in seinem Büro bei Hubbard, White
&
Willis, sondern in einer anderen Kanzlei in Midtown. Dort saß er an einem Tisch Männern gegenüber, denen er deutlich ansah, dass es sich bei ihnen nicht um Gentlemen handelte.
    Er fühlte sich ihnen überlegen und lächelte.
    Diese drei waren Anwälte, aber auch noch etwas anderes – Halunken.
    Mehr noch, bei ihnen handelte es sich um Halunken zweifelhafter Herkunft. Als Gentleman wäre Ralph Dudley in der Öffentlichkeit natürlich niemals eine Bemerkung über die Religion oder die Volkszugehörigkeit eines anderen herausgerutscht.

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