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Ein toedlicher Plan

Titel: Ein toedlicher Plan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Deaver
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er auch ging, stets einen Walkman und richtete sein Leben so nach der Musik aus wie in der Antike Cäsar nach der Eingeweidebeschau der Priester. Taylor hatte nie zuvor einen Menschen kennen gelernt, der so viel Spaß in seinem Leben hatte. Alles, was er anfing, tat er mit großem Vergnügen, sei es nun, einfach in der Sonne zu liegen oder mit dem Fahrrad gegen den Verkehrsstrom die Sixth Avenue hinaufzufahren oder öffentlich auf eigenartigen, altertümlichen Instrumenten Musik zu machen oder erotisch geformte Flöten zu blasen (er war ein meisterhafter Berimbau-Spieler) oder in einem Restaurant zu arbeiten oder sich in lateinamerikanischen Tänzen wie zum Beispiel dem Capoeira zu üben oder zu schlafen oder spazieren zu gehen oder zu essen.
    Lansdowne las Bücher, von denen Taylor noch nie gehört hatte –
Die Europäischen Wurzeln der Rekonstruktionspolitik, Sozialgeschichte des Dinierens, Die mixolydische Tonart als Symbol der griechischen Kultur.
    (»Willy, du liest solches Zeug doch nicht etwa, oder?«
    »Ach, weißt du, Taylor, das Blöde an den Büchern ist, dass sie keine Bilder haben, und so muss ich sie lesen.«)
    Als sie schon eine Weile in New York gelebt hatte, bekam sie von etlichen Bekannten den Tipp, dass es als sehr chic gelte, einen intellektuellen farbigen Freund zu haben. Taylor hatte rasch durchschaut, dass es sich dabei um eine subtile Form von Frauenfeindlichkeit handelte, aber zur gleichen Zeit begriff sie, dass Lansdowne ebenso wie sie zu einer rassenlosen New Yorker Klasse gehörte, und zwar nicht in der einfältig alles umarmenden Weise der Hippies in den Sechzigern, sondern in einem viel tiefer gehenden, authentischeren Sinn. Willy Lansdowne war wie sie ein Mensch, der in Hinblick auf seine Herkunft die besten Chancen besaß, sie aber einfach nicht nutzte. Er war klug genug zu erkennen, wie weit er als Geschäftsmann aus North Carolina, der jeden weißen Mitbewerber leicht aus dem Feld schlagen und sich auf der Madison Avenue oder in der Wall Street niederlassen konnte, kommen würde. Aber aus irgendwelchen Gründen, die nur sie selbst kannten, hatten Taylor Lockwood und Willy Lansdowne ihre Vergangenheit wie einen alten Anzug abgelegt und sich in New York ein eigenes Leben geschaffen, so als wäre der große Ozeandampfer an Ellis Island vorbeigefahren und stattdessen in Greenwich Village gestrandet.
    Willy Lansdowne war jemand, zu dem man sich sofort hingezogen fühlte. Taylor hörte ihm gerne zu und war ganz besonders für seine Lebensrezepte empfänglich – auch damals an einem Nachmittag vor drei Jahren. Sie lebte zu jener Zeit schon seit sechs Monaten in der Stadt, verkaufte bei Macy’s Damenschuhe und war so pleite und niedergeschlagen wie noch nie zuvor. Sie ging gerade vom Sonderangebotsverkauf, der an jedem Mittwoch stattfand, über die Tenth Street nach Hause, als sie das Quietschen von Lansdownes Zehngangradbremsen neben sich vernahm und der Mann vor ihr anhielt.
    »He, ich habe gehört, du klimperst.«
    »Wie bitte?«
    Er mimte einen Klavierspieler, dann tippte er sich an die Stirn. »Dämmert’s?«
    »Ja, ich klimpere ein wenig.«
    »Was soll das heißen? Spielst du nun Klavier oder nicht?«
    »Ja, ich spiele.«
    »Und wo bist du zurzeit zu finden?«
    »Nirgendwo.« Sie zuckte mit den Schultern.
    »Nein, nein, nein. Was arbeitest du tagsüber?«
    »Ich bin Verkäuferin bei Macy’s.«
    »Oh!«, machte er und verzog das Gesicht. »Nein, meine Liebe, dort willst du sicher nicht alt werden, oder? Sperr die Ohren auf, ich sage dir jetzt, was du tun wirst.«
    Er hielt plötzlich ein Notizbuch und einen Füller mit goldener Tinte in der Hand. »Ruf diesen Mann wegen eines Jobs an. Und das hier ist für deinen Auftritt. Bring die beiden Nummern nicht durcheinander. Sorg immer dafür, die Rechte und die Linke voneinander getrennt zu halten. Gitarrenspieler haben solche Probleme nicht. Du aber spielst Klavier, und deshalb musst du darauf achten, klar?« Er reichte ihr zwei Zettel.
    Er klang so überzeugend, dass Taylor schon »okay« sagte, bevor sie fragte: »Was sind das für Typen?«
    »Der eine leitet einen Kurs für Anwaltsgehilfen. Du gibst ihm ein paar Hunderter, aber am Ende wird sich der Kurs für dich mehr als auszahlen. Würde, wenn du verstehst. Damit du deine Würde wieder findest und dich selbst als wichtige Person begreifst. Der andere Mann hat einen Club. Sag ihm, dass ich dich geschickt habe. Er lässt dich sicher in der beschissensten Nacht der Woche auftreten,

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