Ein toedlicher Plan
Hochgefühl über den Sieg, den er im Haus der Halunken errungen hatte, war längst verflogen. Er saß erregt und mit finsterer Miene auf einer Bank im Central Park. Eine Brise aus dem Süden hatte die Temperatur auf fünfzehn Grad ansteigen lassen. Dudleys langer Zeigefinger und der knotige Daumen fuhren über sein Gesicht und kniffen in eine weiche Hautfalte am Mund. Dabei spürte er sowohl die Befriedigung, sich am Morgen ausreichend gründlich rasiert zu haben, als auch die Verzweiflung der Selbsterkenntnis.
Dieses letzte Gefühl war ihm nicht fremd, doch es neigte dazu, sich nur in Momenten wie solchen in sein Bewusstsein zu drängen. Die Selbsterkenntnis basierte auf der Tatsache, dass ihm die Idee des Gesetzes mehr gefiel, als in der Praxis damit zu arbeiten. Wenn er über seinen Beruf nachdachte, erschien er ihm in einem romantisch verklärten Licht. Er behauptete von sich, in Michigan das Gesetz gelesen zu haben, und verwendete damit die im 19. Jahrhundert gebräuchliche Umschreibung für das Jurastudium. Er liebte Ausdrücke wie
force majeure,
höhere Gewalt,
laches,
Leistungsverzug, oder
res ipsa loquitur,
die Sache spricht für sich. Auf einer seiner zahllosen Reisen nach London hatte er draußen vor dem Grey’s Inn gesessen und ein Buch über Francis Bacon gelesen. Die Tränen hatten ihm in den Augen gestanden, als er zu der Stelle kam, wo der Hochkanzler aus seinem Amt gejagt wurde, weil er sich hatte bestechen lassen.
Dudley liebte die Juristerei der alten Tage, der Zeiten, in denen aus einer Kanzlei noch kein Großunternehmen geworden und noch nicht alles so schrecklich kompliziert war, bevor es Computer, Bildschirme und Telefax gegeben hatte. Selbst das Telefon auf seinem Schreibtisch mit seinen Dutzenden von unverständlichen Knöpfen und Symbolen war ihm irgendwie unheimlich.
Aber die alten Tage waren lange vorbei.
Damals hatte es noch keine Fusionen gegeben.
Und keine Anwälte wie Wendall Clayton.
Dudley hatte Angst vor Clayton, den er für einen abgefeimten Schurken hielt. Er war davon überzeugt, dass Clayton über genügend Macht und Einfluss verfügte, um die Fusion durchzuboxen – auch wenn es sich dabei de facto um eine Vergewaltigung von Hubbard, White & Willis handeln würde. Dudley sah die verheerendsten Folgen für die alte Kanzlei voraus. Was ihn jedoch am meisten beunruhigte, war nicht die Zerstörung von Hubbard, White & Willis, was auch schon bedrückend genug war, sondern die Auswirkung, die dieser erzwungene Zusammenschluss für zwei Menschen haben würde – für ihn und für das Mädchen, dem er gerade dabei zusah, wie es auf Rollschuhen über den Gehweg glitt.
Das Mädchen, fünfzehn Jahre alt, war schon bald eine junge Frau, ausgesprochen hübsch, auch wenn sie zu viel Make-up trug und die Augen so sehr zu kalten Schlitzen verengen konnte, dass einem dann der Begriff »hübsch« unangemessen erschien. Innere Kälte passte zu Schönheit, nicht aber zu etwas Hübschem, und Junie konnte sehr kalt sein.
Ralph Dudley war sich vollkommen der Tatsache bewusst, dass er im Fall einer Fusion seine Stellung verlieren würde, denn obwohl er das Gesetz so liebte, dass es ihn manchmal zu Tränen rührte, obwohl er lateinische Fachbegriffe wie ein Altphilologe zu gebrauchen verstand und obwohl er in der Lage war, selbst die durchtriebensten Halunken aufs Glatteis zu führen, war er kein guter Anwalt. Vermutlich war er sogar der untauglichste Anwalt von ganz New York. Seine Talente waren ausgesprochen nebulös – er verstand sich zum Beispiel prächtig darauf, Geschichten zu erzählen – und in den Wall-Street-Kanzleien des ausgehenden 20. Jahrhunderts ohne Wert.
Dudley belieh immer wieder von neuem seine Einlage bei und seine Anteile an Hubbard, White & Willis, und er leistete bei seinen Klienten so wenig direkte Arbeit, dass er bei der jährlichen Ausschüttung stets nur einen bescheidenen Bonus erhielt, eine so geringe Summe, wie sie neue Partner bei Hubbard, White & Willis möglichst rasch hinter sich zu lassen hofften. Auch besaß er nicht genügend Eigenkapital, um ins Immobiliengeschäft zu investieren oder sich in einer Firma als Partner einzukaufen, wie es Klienten immer wieder ihrem Rechtsbeistand antrugen. Wenn er seinen Job bei Hubbard, White & Willis verlieren sollte, würde das für ihn eine komplette Katastrophe bedeuten. Seine Ersparnisse wären binnen zweier Monate aufgebraucht, und der Lebensstil, den er seit nunmehr dreißig Jahren pflegte, würde sich vor
Weitere Kostenlose Bücher