Ein toedlicher Plan
machen. Er stand vor ihrer Tür und sang das Siegeslied der Ohio State University. Aber er versuchte nicht, die Tür zu öffnen (und dafür war Taylor dem Himmel dankbar, denn sie hatte vergessen, den Stuhl unter die Klinke zu schieben). Nach einer Weile verzog er sich auf sein Zimmer. Taylor lag noch eine Stunde wach und lauschte seinem tiefen und gleichmäßigen Schnarchen.
Es ist Sonntag in aller Frühe. Der Morgen graut. Der Dekorateur läuft unter mächtigen trapezförmigen, blauroten Wolken durch Greenwich Village. Vermutlich bringt die Wolkendecke Schnee oder Regen, aber das Wetter interessiert ihn zurzeit weniger. Seine Gedanken kreisen vielmehr um die Jagd.
Als er noch ein Junge gewesen ist, hat ihn sein Vater oft zur Jagd mitgenommen. Beide haben sich braune Cordsachen angezogen und sind über aufgewühlte Novemberfelder marschiert. Sie sind durch Maisstrünke gestapft, die mit ihrer blassen Farbe und fasrigen Oberfläche in deutlichem Kontrast zur fetten schwarzen Erde stehen. Hin und wieder fliegt ein Fasan, ein Moorhuhn oder ein Wildtruthahn erschrocken vorbei. Er beobachtet den Vogel einen Moment, spürt dann den Rückstoß der Remington und hört die Explosion, die ihm immer so vorkommt, als fände sie fünf Meter vor ihm statt. Oben am Himmel spritzen Federn auseinander, und das getroffene Tier fällt wie ein Stein herab.
Der Dekorateur geht weiter die Straße hinunter. Plötzlich fliegt vor ihm ein kleiner Vogel auf. Die Augen des Mannes verengen sich zu Schlitzen, er zielt und spannt die Muskeln gegen den Rückstoß an.
In seiner Fantasie trifft er das Tier.
Vor seinem geistigen Auge trudelt der Vogel aus dem Himmel. Er sieht sich um und erkennt, dass er am Ziel angelangt ist.
Am Dienstboteneingang setzt der Mann seine Spezialpistole ans Schloss und drückt so lange den Abzug, bis alle Bolzen zurückgesprungen sind. Die Tür geht ohne Schwierigkeit auf. Er steigt die Treppe bis in den dritten Stock hinauf und macht sich dort in gleicher Weise am Schloss einer Wohnungstür zu schaffen.
Im Apartment entdeckt er einen Beutel mit Näharbeiten (auf einer von ihnen ist eine Weihnachtsszene, die wohl nicht mehr rechtzeitig zum Fest fertig werden wird), eine Schachtel mit den kalorienarmen Apfelsnacks von Weight Watchers, einen Strapsgürtel, noch in der Originalverpackung (der Dekorateur war dem Mädchen zwar erst einmal begegnet, kann es sich aber gut in Strapsen vorstellen – was er da vor seinem geistigen Auge zu sehen bekommt, gefällt ihm sehr), Kartons voll von vergilbtem Notenpapier, einen teuer ausschauenden Kassettenrecorder mit vielen Funktionstasten und Dutzende von bespielten Kassetten, die alle denselben Titel tragen: »Die Hitze um Mitternacht – Songs von Taylor Lockwood«.
Dann fällt sein Blick auf ihr Adressbuch, und er blättert darin, anschließend auf ihren Kalender und ihre Telefonrechnungen. Er hört alle Bänder ihres Anrufbeantworters ab. Sein Auftraggeber hat bei der letzten Besprechung seine Hoffnung zum Ausdruck gebracht, sie führe ein Tagebuch. Aber der Dekorateur hat ihm an diesem Tag schon erklärt, dass heute nur noch sehr wenige Menschen so etwas tun. Und Taylor Lockwood bildet da keine Ausnahme. Bei seiner Suche stößt er auf nichts, was ihm verraten könnte, wie viel sie weiß oder was sie denkt.
Er geht langsam durch das Apartment, nimmt sich viel Zeit. Er weiß, dass sein Auftraggeber ihn ausgiebig löchern wird, um über alles, was sich in Lockwoods Apartment befindet, informiert zu werden. Daher ist er bemüht, nur ja nichts zu übersehen. Obwohl die einzelnen Zimmer recht klein sind, kommt er sich jetzt wieder so vor wie damals, als er mit seinem Vater auf die Jagd ging und über abgeerntete Felder lief. Er erinnert sich an einen Tag, an dem er auf seine Beute stieß. Der Vogel lag wie in einem Handschuh im gelben Blatt eines Kürbisses. Dank des feinen Schrots war sein Körper nicht zerfetzt. Der Dekorateur ist in die Hocke gegangen und hat das Tier fasziniert betrachtet – so lange, bis er das Rascheln von hastig ausgebreiteten Schwingen, das Donnern vom Schrotgewehr seines Vaters und kurz darauf dessen Freudengeheul vernahm, weil ihm ein doppelter Treffer gelungen war.
Taylor und Sebastian verließen das Anwesen am Sonntagnachmittag. Er hatte schlechte Laune, saß auf dem Rücksitz der Limousine und verfolgte über Kopfhörer das Spiel der Jets. Sie fragte sich, was ihn in diese Stimmung versetzt haben mochte, das Treffen mit Callaghan oder dass sie
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