Ein Toter fuehrt Regie
derzeit finden. Ewig unzufrieden und schimpfend, ewig mit Gott und der Welt zerfallen, scheint seiner Frau seit geraumer Zeit das Leben mit ihm unerträglich zu werden, und sie trägt sich zumindest seit Anfang des Jahres mit dem Gedanken, ihn mitsamt beider Tochter eines anderen Mannes willen zu verlassen. Obwohl eigentlich sie den entscheidenden Schritt vollziehen wird, so zweifelt doch niemand, daß sie das Kind behalten darf; und für Zumpe ist es schier unerträglich, an den Verlust des Mädchens zu denken, hängt er doch an der Kleinen mit aller Liebe, deren er fähig scheint. Kurzum, so wie die Dinge derzeit stehen, läßt sich vom Inhalt seines Lebens nichts anderes sagen als das: unwiederbringlich dahin. Was Wunder, daß er sich da auf einen stürzt, der noch ärmer dran ist als er: auf mich, für den es nicht einmal die leuchtenden Tage gegeben hat, über deren Verlust sich später weinen ließe.
In Erstaunen wird Sie allerdings versetzen, daß man auch vom Kollegen Brockmüller in der gemeinten Hinsicht nichts anderes berichten kann, obwohl er doch in seinem Namen den Titel des Dr. rer. pol. zu führen berechtigt ist und auch ansonsten einen ganz reputierlichen Eindruck macht. Nun, ich verrate kein Geheimnis, wenn ich ihn ebenfalls zu denen zähle, deren erträumtes Ziel so weit vom erreichten Heute und Hier entfernt ist, daß man ihn getrost zu denen rechnen kann, die gescheitert sind – nicht gescheitert in den Augen ihrer Umwelt, aber doch gescheitert vor sich selber. Wie Sie wissen beziehungsweise wissen sollten, ist er Diplom-Kaufmann, also Betriebswirt, und spezialisiert auf die betriebswirtschaftliche Organisationslehre, braucht also zur Karriere die deutsche Industrie als Feld. Dummerweise aber ist er in einer streng sozialistisch denkenden Familie aufgewachsen, so daß seine Schriften – Diplomarbeit, Dissertation und einige Veröffentlichungen – allesamt mit antikapitalistischen Bissigkeiten aufgeladen sind, etwa wenn er in seinem Aufsatz Konzentration als Totengräber der sozialen Marktwirtschaft gegen die deutschen Konzerne vom Leder zieht. Müßig zu sagen, daß ihm seine Arbeitgeber nach solchen Attacken wenig Sympathie entgegenbringen und lieber konservativer eingestellte Spezialisten in die Führungspositionen hieven. Blieb für Brockmüller die Hoffnung einer Universitätskarriere, die sich nach seinen langen Assistentenjahren in Mannheim und Hamburg auch anzubieten schien. Zu seinem Unglück aber halten alle Berufungskommissionen, denen er seine Bewerbung um einen freien Lehrstuhl in regelmäßigen Abständen vorlegt, sein Hauptwerk, das dickleibige Buch ‹Organisation ohne Führung? ›, für unsystematisch und utopisch. Da er sich zu allem Überfluß auch noch wegen seines Vorwurfes, sie täten nichts weiter als zur Stabilisierung des spätkapitalistischen Systems beizutragen, mit den Leitern gewerkschaftlicher Bildungs- und Forschungsinstitutionen zerstritten hat, blieb ihm, wollte er nicht auf der Straße liegen, zu guter Letzt nichts weiter, als die jämmerliche Stelle bei dieser sogenannten Sondergruppe für Systemplanung, die ihm seine Frau durch ihren Kontakt zu Kuhring zuschanzen konnte. Das ist er, der Dr. Bodo Brockmüller – ein Stern, der niemals strahlen konnte.
Von der Kollegin Gisela Lux ist nur zu berichten, daß sie zu gerne Kinderärztin geworden wäre, wegen der begrenzten finanziellen Mittel ihrer Eltern aber nur die Handelsschule besuchen und neben nie Gebrauchtem das Schreibmaschineschreiben lernen konnte. Anstatt, von allen geachtet, Menschen zu helfen, ist sie nun Tippse und überträgt allzuviel Handschriftliches in die Maschine, von dem sie weiß, daß es sinnlos, daß es nutzlos ist. Und von ihrer nicht vorhandenen Schönheit und Anmut werden Sie sich schon durch eigenes Augenmerk überzeugt haben, Herr Kommissar, ohne allerdings zu wissen, wie sehr sie sich nach einem Ehemann und zwei, drei Kindern sehnt. Doch ihr Pech ist, daß sie keinen Mann bekommt, der ihren zu hochgeschraubten Ansprüchen genügt, und alle die verachtet, Arbeiter und Unscheinbare, die sie akzeptierten und, möglicherweise, auch in Grenzen lieben würden. Es ist ein Teufelskreis; in ihrer Verzweiflung über ihre Mißerfolge läßt sie sich immer stärker gehen und legt immer weniger Wert auf ihr Äußeres – und geht damit der letzten Chance verlustig, zum Mann ihrer Sehnsucht zu kommen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird sie schon zu trinken angefangen haben und, intelligent
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