Ein Toter fuehrt Regie
grauer Apparat summte. Er nahm den Hörer hoch, müde, apathisch. Kuhring.
«Komm schnell mal runter!»
«Ja.» Armleuchter.
Kuhring saß mit Zumpe und Olscha im Sitzungszimmer, Gaby war inzwischen gegangen.
«Setz dich.»
Er setzte sich. Gottergeben. Soll er doch kommandieren, wenn’s ihm Spaß macht.
«Der Wagen, der Sie gegen die Leitplanke gedrückt hat, ist gefunden worden», sagte Olscha. «Gestohlen. Gehört einem Internisten, Dr. Wendt. Keine Fingerabdrücke, nichts.»
Brockmüller nickte. Im Grunde war’s ihm scheißegal. Sollte Owis Killer machen, was er wollte… Er sah Zumpe an. Der sah aus wie ein Krebskranker drei Wochen vor dem Exitus. Dem machte sicherlich sein Magen zu schaffen.
Kuhring dagegen war geradezu aufgeblüht, strotzte vor Vitalität und Kampfeslust. Nach dem ersten Schock hatte er sich verdammt schnell gefangen. Vom Großen Kurfürsten an waren die meisten Männer in seiner Familie Soldaten gewesen – bis zur Endstation Berlin, wo mit dem Flakhelfer Karl-Heinz Kuhring eine große Tradition ihr Ende gefunden hatte. Nun, so schien es Brockmüller, hatte sich Kuhrings Landsknechtnatur endgültig durchgesetzt. Er glühte fast vor Kampfeseifer.
«Diese Schweine!» rief Kuhring, und Brockmüller dachte, er hätte wieder die Jungsozialisten beim Wickel. Aber nee, diesmal meinte er die Kollegen drüben in der Zentrale. Die hatten sich nämlich, der Betriebsrat an der Spitze, standhaft geweigert, die Sondergruppe für Systemplanung beim Ausflug nach Schildhorn mitzunehmen. Das Risiko sei zu groß, und überhaupt, das sei doch kein Betriebsfest, wenn überall Polizisten rumstehen.
«Und sonst faseln sie immer von Solidarität!» Kuhring wurde immer wütender.
«Ich kann’s ihnen nicht verdenken», murmelte Brockmüller.
«Ach nee? Na, du bist ja sowieso immer gegen uns», sagte Kuhring. «Du widersprichst reichlich viel in letzter Zeit!»
Olscha versuchte die Situation zu retten. «Keine Schlägerei, meine Herren – ich bin bewaffnet!» Er lachte schallend.
Doch die Nachfrage nach seinein dünnen Humor war gering.
Kuhring blickte auf seine Armbanduhr. «Gleich eins. Ich schlage vor, wir gehen jetzt Mittagessen, und dann kommt ihr alle mit mir nach Hause – wir feiern bei mir. Ab 14 Uhr ist sowieso für alle frei, die am Betriebsfest teilnehmen.»
Brockmüller fand den Vorschlag beschissen, biß sich aber auf die Zunge. Bei Kuhring gab’s wieder eine Riesensauferei – und niemand ist wehrloser als ein Betrunkener. Und wenn Olscha zehnmal auf sie aufpaßte.
Auch Zumpe machte ein saures Gesicht. Offenbar befürchtete er nicht nur, daß der Alkohol seinen Magen vollends ruinierte, sondern auch, daß seine Frau endgültig ihre Sachen packte und abhaute, wenn er besoffen nach Hause kam. Und Kuhring hielt jeden, der nicht mit ihm saufen wollte, für einen persönlichen Feind.
Trotzdem zögerten Brockmüller und Zumpe, während Olscha sich in Schweigen hüllte.
Kuhring sah sie mit zornrotem Gesicht an. «Meint ihr denn, ich lasse mich von Owi kleinkriegen!? Meint ihr denn, ich lasse mir vom Fehrbelliner Platz vorschreiben, wann ich zu feiern habe und wann nicht!? Die machen sich doch vor Angst in die Hosen. Und Owi mit seinen Knallfröschen – habt ihr vielleicht Angst vor diesem Hampelmann!? Los – ich lad euch ein: wir gehen jetzt essen, und dann machen wir einen drauf!» Er sprang auf, sein Stuhl kippte um. Er sah aus, als hätte er bereits drei, vier Klare intus. «Sie können gerne mitkommen, Herr Olscha, wenn Ihr Chef das unbedingt will.»
Sie fuhren zu einem China-Restaurant am Wittenbergplatz, alle in Olschas Wagen.
«Erst mal was zu trinken!» Noch während sie die voluminöse Speisekarte studierten, winkte Kuhring den Ober herbei. Er galt als großer Trinker vor dem Herrn, und Brockmüller wußte, daß er mehrmals im Jahr Kollegen, von denen er wichtige Informationen brauchte, ganz harmlos einlud, ein Glas Bier mit ihm zu trinken, und sie dann aushorchte, wenn sie total besoffen waren. Kuhring selbst konnte unheimlich viel vertragen.
Brockmüller bekam sein Pils, ebenso wie Olscha und Kuhring, während Zumpe seines Magens und seiner Galle wegen auf Apfelsaft bestand.
Kuhring hob sein Glas. «Trinken wir auf Fräulein Lux, daß sie bald wieder gesund wird; trinken wir darauf, daß alles nur ein schlechter Scherz von Owi war und jetzt nichts mehr passiert.»
Sie taten’s und bestellten dann: Kuhring eine halbe Peking-Ente, Olscha Ente süß-sauer, Brockmüller
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