Ein Toter fuehrt Regie
wie sie ist, ahnen, wie es weiter bergab gehen wird.
Doch lassen Sie mich nun, Herr Kommissar, zu gleichsam Konkreterem kommen, nämlich zur Rache des Otto-Wilhelm Ossianowski. Sie werden es nicht für möglich halten, was ich Ihnen nun mitzuteilen habe, aber es ist, ich schwöre es Ihnen, an dem: Ich habe nirgendwo weiteren Sprengstoff versteckt. Sie würden mich zutiefst beleidigen, wenn Sie mir zutrauten, meine Feinde auf keine andere als auf diese so überaus plumpe Art und Weise zur Strecke bringen zu wollen, zumal der Tod ja alles andere ist als eine Strafe. Nein, Tote leiden nicht – ich aber will sie leiden sehen, will sie an ihrer Angst erkranken und verrecken sehen, bis auf einen. Dieser eine allerdings wird sterben, weil ich ihm nicht einmal diese winzigen Sekunden gönne, die man auch als Kranker oder gar Gefangener glücklich und zufrieden sich fühlen kann.
Aber nun – denn die Zeit verrinnt – will ich mein Geplantes spezifizieren, und sie werden mir in dem einen Falle eine gewisse Genialität zugestehen müssen.
In den Fällen Zumpe und Lux spekuliere ich darauf, daß die von mir erzeugte Angst in ihnen wirkt wie ein injiziertes Gift. Bei Zumpe wird das größte seiner Geschwüre durch die Magenwände brechen, und durch das so entstandene Loch wird sich dessen Inhalt in die freie Bauchhöhle ergießen: unter stärksten Schmerzen und allen Anzeichen eines Schocks bricht er zusammen. Sollte ihm eine schnelle Operation das Leben retten, was durchaus geschehen könnte, wird ihm ein längerer Krankenhausaufenthalt Zeit zur Besinnung geben. Die wird er doppelt nötig haben, da seine Frau vermutlich die Gunst der Stunde nutzen und endgültig zu dem Mann ziehen wird, an dem sie hängt. So wird Zumpe, sollte er tatsächlich genesen, in eine leere Wohnung kommen und seine Tochter höchstens mal am Monatsende sehen. Was ihm bleibt, das ist der Alkohol, das ist ein Ende, an das ich ganz genüßlich denke.
Das Fräulein Lux hingegen wird, wenn meine Prognose stimmt, nichts weiter davontragen als einen Nervenschock und erhebliche vegetative Störungen. An mehr will ich nicht denken, denn schließlich mag ich sie – trotz allem. Allerdings sollten Sie ihr, sehr verehrter Herr Kommissar, deutlich zu verstehen geben, daß es meine Rache nie gegeben hätte, wenn aus ihrem stolzen Nein ein Ja geworden wäre – und sei es nur aus Mitleid. Letztlich ist sie in erheblichem Maße an allem schuld, und sie wird schwer daran zu tragen haben. Vor allem auch an Kuhrings Tod.
Ja, der Herr Hauptabteilungsleiter Karl-Heinz Kuhring wird sterben, wenn auch nicht durch meine, sondern durch Brockmüllers Hand.
Ihr Erstaunen amüsiert mich, Herr Kommissar, erscheint mir aber verständlich, da Sie nicht wissen können, daß der Doktor seinen Chef aufs höchste haßt und schon lang beschlossen hat, ihn auf raffinierte Art zu töten. Nun wird er von mir mit der Chance des perfekten Mordes sozusagen reich beschenkt – oder kurz gesagt: so gerissen, wie er ist, wird er Kuhring töten, weil unter den Umständen, die hier obwalten, jeder tote Kollege automatisch auf mein Konto kommt, auf das Konto des pathologischen Industriekaufmanns Otto-Wilhelm Ossianowski. Die Frage nach Brockmüllers Motiv, die sicher zuvörderst Ihr Interesse finden dürfte, kann ebenfalls mit einem schlichten Satz erschöpfend beantwortet werden: das Kind, das Annelie – wie Sie wissen, Brockmüllers Frau – unterm Herzen trägt, das stammt von Karl-Heinz Kuhring! Und das ist etwas, das Brockmüller – seine Worte klingen mir noch heut im Ohr – um nichts auf der Welt ertragen kann. So wird er handeln, wie es ihm sein Naturell befiehlt: vom Gefühl getragen und doch berechnend. Nur die Art und Weise, wie er es vollbringen wird, vermag ich jetzt noch nicht zu ahnen, doch gelingen wird es ihm.
Indem ich Ihnen viel Freude beim Beschauen dessen wünsche, was man Kuhrings sterbliche Hülle nennt, und mich abschließend vielmals für Ihre Mühe und Geduld bedanke, verbleibe ich für heute bis in alle Ewigkeit
als Ihr Ihnen sehr ergebener
Otto-Wilhelm Ossianowski
(genannt Owi)
8
Wenn er aus dem Fenster schaute, sah er auf der Mansfelder Straße einen Streifenpolizisten patrouillieren. Und unten im Konferenzzimmer wachte Olscha.
Brockmüller versuchte sich zu konzentrieren. Vor ihm lag ein Bogen Schmierpapier mit der Aufschrift T RENDANALYSE . Ihr Generaldirektor brauchte so schnell wie möglich eine Zusammenstellung aller Prognosen, die
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