Ein Toter fuehrt Regie
Geständnis abgelegt. Kam sicher noch. Es sprach ja alles dafür, daß sich Owi diesen Knaben gekauft hatte. Mannhardt, diese Perle von Oberkommissar, schien’s jedenfalls zu glauben, sonst hätte er Olscha nicht in die Keithstraße zurückgeholt. Im Augenblick patrouillierte nur noch ein einsamer Polizist vor ihrer ehrwürdigen Residenz auf und ab.
Aber wer garantierte ihnen denn, daß Owi nicht doch noch ein kleiner Gag eingefallen war? Die Herren Experten legten zwar allesamt ihre Hand dafür ins Feuer, daß sich in diesem Hause hier kein einziges Gramm Sprengstoff mehr befand, aber…
Warte mal ab, das dicke Ende kommt noch.
Brockmüller faltete die Zeitung zusammen und blätterte in einigen organisationstheoretischen Werken herum. Nach zehn Minuten hatte er zwei weitere Stichpunkte für seine Trendanalyse gefunden. Gott sei Dank! Den letzten Punkt bekam er auch noch zusammen.
Hinterher liest es doch keiner.
Es war schon schön, auf der Welt zu sein, wahrlich.
Wieder das Telefon, und wieder Zumpe.
«Ich komm mal rüber, ja?»
Komisch, der fragte doch sonst nicht.
«Oder haben Sie noch mit Ihrer Trendanalyse zu tun?»
«Ja, aber kommen Sie man.»
Zumpe erschien und sah aus wie das Leiden Christi. Wie beim Farbfernseher, wenn man Udo Jürgens langsam die Farbe wegnahm. Brockmüllers Mutter hatte so ‘n Dings, und er spielte gerne an den Reglern rum.
Brockmüller stand auf, ließ seine rückgratgerechte Sitzgelegenheit mit einem lässigen Stoß auf Zumpe zurollen und setzte sich auf die Tischkante. «Sie fürchten sich wohl allein in Ihrem Zimmer, seit Owi nicht mehr da ist?»
«Ist schon ein komisches Gefühl… Aber was anderes. Ich habe eben im Klinikum angerufen.»
«Fräulein Lux?»
«Hm, Fräulein Lux.»
«Und? Was ist?»
«‘s geht ihr ziemlich dreckig. Nicht mal die Verletzungen; der Nervenzusammenbruch.»
Zumpe saß da und starrte aus dem Fenster. Brockmüller fiel auch nichts ein, was zu bereden gewesen wäre. Schweigen wir von was anderem. Owi mußte verdrängt werden, blieb also, nachdem die Lux erledigt war, nur ihr Boss.
«Wo bleibt denn Kuhring bloß?»
«Was weiß ich…» Brockmüller zuckte die Achseln.
«Ob ich mal bei ihm anrufe?»
«Versuchen Sie’s halt.» Brockmüller schob ihm den Telefonapparat über den Tisch. Welche Liebe unter den Menschen! Zumpe, der ansonsten nur giften konnte, machte sich plötzlich Sorgen um Kuhring… Not macht nicht nur erfinderisch, sie stimmte auch versöhnlich.
«Da meldet sich niemand», sagte Zumpe.
«Der wird noch so besoffen sein, daß er nichts hört.»
«Kann ich mir nicht denken. Besoffen war er schon oft, aber deswegen kam er doch.»
«Jaaa… Ja, das stimmt. Ob er… Ich meine, sie haben zwar diesen Schloo, aber…» Brockmüller brach ab.
Hoffentlich ist er tot.
«Sie sagen das so, als ob… Mensch, das… Wir müssen jetzt was tun!»
«Rufen Sie doch mal drüben am Fehrbelliner Platz an; vielleicht sitzt er wieder bei Fräulein Gross rum. Oder wir warten bis zehn und rufen dann Mannhardt an.»
Zumpe warf den Hörer auf die Gabel und schluckte eine orangefarbene Pille. «Ich hab nicht viel Freunde – und wir beide kennen uns schon ewig. Einer hat dem anderen geholfen, die ganzen Jahre hindurch. Klar, es gab auch mal Knartsch, aber…»
Brockmüller hörte kaum noch hin. Wie würde Annelie reagieren, wenn Kuhring tot war? Die Aufregung… das Kind! Bei der psychischen Belastung jetzt…
Owi. Dieses verdammte Schwein!
Er mußte mit dem Gynäkologen reden, sie mußten die Geburt künstlich einleiten. Aber Annelie sträubte sich dagegen. Und sie haßte ihn, weil er ihr Kind gefährdete.
Hättest du Owi in Ruhe gelassen, dann wäre das alles nicht passiert. Anstatt ihm zu helfen, hast du ihn zur Sau gemacht. Da war endlich mal einer, der noch schwächer war als du – und: auf ihn mit Gebrüll! Nein, nicht mit Gebrüll, sondern mit Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung – psychologisch und mit Esprit, nicht mit dem Holzhammer. Und dafür landet unser Kind dann in der Klapsmühle. Gratulieret
Brockmüllers Herz setzte aus, er bekam plötzlich keine Luft mehr, schnappte wie ein Fisch auf dem Trockenen und hustete, flüchtete in einen Hustenanfall, damit Zumpe nichts merkte. Das helle Rechteck des Fensters schnellte nach oben, zuckte zur Seite, löste sich auf, floß wieder zusammen… Er griff mit kalt-feuchten Fingern zur Fanta-Flasche und trank mit geschlossenen Augen.
Nur nichts anmerken lassen!
Annelie
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