Ein Toter fuehrt Regie
der eine heile Welt schildert, Leberecht Hühnchen oder so – ein intaktes Familienleben. So was war doch wohl seine große Sehnsucht.»
«Wir werden ja sehen…»
«Hoffentlich bald.»
Als sie dann vor Owis Bücherwänden standen, verging ihnen allerdings das Hören und Sehen. Es waren zumeist Taschenbücher, und nach dem Durchzählen der obersten Reihe schätzten sie den Gesamtbestand auf rund zweitausend Bände.
«Amen!» sagte Koch. «Da finden wir eher ‘ne Stecknadel im Heuhaufen.»
«Wenn der uns hier sehen könnte! Überschrift: Ein Toter lacht sich tot…»
«Da sitzen wir bis Weihnachten hier, ehe wir jedesmal die Seite 16 aufgeschlagen haben.»
Mannhardt suchte nach einer Steckdose. «Hoffentlich haben sie den Saft noch nicht abgedreht.»
Koch knipste die Deckenleuchte an. «Nee, Gott sei Dank nich. So schnell schießen auch die Preußen von der B EWAG nicht.»
Mannhardt schaltete das Tonbandgerät ein und legte die Spule auf, die Koch vom Zahnarzt bekommen hatte. «Wir sollten mal sehen, ob der Code stimmt, den ich mir vorhin am Telefon notiert habe.»
«Das ist kein Code, das ist Scheiße!»
«Nun red nicht soviel – hör zu und schreib mit, damit jeder die Zahlenkombination hat.»
So hockten sie in den nächsten Minuten an einem kleinen Couchtisch und lauschten Owis leicht kastratenhafter Stimme.
Irgendwo hier in Berlin sind meine Aufzeichnungen versteckt. Nur wenn man sie findet, kann das Leben vieler Menschen gerettet werden…
Koch stöhnte.
… wenn sie in meinem Lieblingsbuch folgende, auf der Seite 16 vorfindbare Buchstaben aneinanderreiht: Zeile 8: 1-5-18-21…
Koch schrieb die Zahlen in sein Notizbuch, Mannhardt verglich sie mit seinen früheren Aufzeichnungen.
Nachdem sie das Tonbandgerät abgeschaltet hatten, begannen sie mit ihrer fieberhaften Suche. Noch waren sie voller Hoffnung, auf Grund ihrer systematischen Vorüberlegungen relativ schnell ans Ziel zu gelangen.
Mannhardt begann mit Hans Falladas, Kleiner Mann – was nun? Er zupfte das Buch, das er oben rechts im Regal entdeckt hatte, auf den Zehenspitzen stehend heraus, schlug die Seite 16 auf, fuhr mit dem rechten Finger auf die achte Zeile hinunter und zählte dann mit wachsender Spannung die Buchstaben: 1, 5, 18 und 21. Das Ergebnis war wenig ermutigend: H – Z – H – G. Und aus der Zeile 9 kamen noch ein I, ein S und ein O hinzu.
Fehlanzeige, ganz offensichtlich.
Koch, der bei seinem alternativen Ansatz auf Mannhardts Rat zuerst zu Stefan Zweigs Joseph Touche gegriffen hatte (die Massenexekution in Lyon!), wurde ebensowenig fündig. «E – N – E – S – I – E – N – O», buchstabierte er. «Und außerdem ist in Zeile 9 nach dem Buchstaben 48 Schluß.»
Mannhardt probierte es mit der Familie Buchholz von Julius Stinde, einer Berliner Idylle, die Ossianowski vielleicht geschmeckt haben konnte. Doch was sich auf seinem Notizblock niederschlug, ergab beim besten Willen keinen Sinn: L – Z – E – T – D – A – T.
Koch, der Thomas Manns Tod in Venedig beim Wickel hatte, wirkte ziemlich sprachgestört: «Ulrniuna… Hast du ‘ne Ahnung, wo das liegt?»
«Ein Glück, daß dieser Ossianowski schon tot ist, sonst…» Mannhardt stieß einen drohenden Knurrlaut aus.
Die nächste halbe Stunde brachte sie auch nicht weiter, obwohl sie die einzelnen Titel jetzt schon wesentlich schneller abcheckten, ganz mechanisch schon.
Guy de Maupassant, Stark wie der Tod: S – N – G – Ä und in der Zeile 9 nur 14 Buchstaben.
Henry Jaeger, Die Testung : In der Zeile 8 nur 19 Buchstaben.
Ernest Hemingway, Wem die Stunde schlägt : in der Zeile 8 nur 18 Buchstaben.
Henryk Sienkiewicz, Quo vadis : U – R – A – 1 und in der Zeile 9 nur 7 Buchstaben.
Mannhardt ließ sich resignierend in den Sessel fallen.
Koch schmiß die Christenverfolgungsstory auf den Teppich. «Da ist nix zu löten an der Holzkiste!»
«Du sagst es – wir müssen uns bald was Neues einfallen lassen.»
Es dauerte aber ein paar Sekunden, ehe Mannhardt sich wieder aufraffen konnte. Dann ging’s Schlag auf Schlag.
«Hoffentlich ist das Telefon noch angeschlossen.»
Es war, und so gab er zuerst den Code an Dr. Weber durch und bat ihn, die Presse zu informieren und die Bevölkerung mit einer entsprechenden Belohnung zur Mitarbeit zu motivieren. Vielleicht konnte auch die Berliner Abendschau des SFB Owis Zahlenkolonnen auf einer Schautafel bringen. Schließlich ging’s hier um Menschenleben, möglicherweise um eine ganze Menge.
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