Ein Toter fuehrt Regie
kleiner Spaß von Owi: Wer’s zuerst findet, kriegt von mir ‘n halbes Hähnchen… Sie saßen unten am Konferenztisch und aßen gebratene Hähnchen: Kuhring, Zumpe, Owi, die Lux und er. Alles okay… Da war nichts geschehen; das war seine Phantasie, nichts weiter. Völlig überdreht, der Mann; kleine Nervensache. Aber das kriegen wir schon wieder hin. Ein bißchen ausspannen, und wenn das Kind erst mal da ist… Tagträume? Das hat nichts zu bedeuten. Kann im Grunde nichts schaden.
«Das ist ja zum Heulen – ich finde nichts!»
Was machte denn der Zumpe hier? Der war doch längst pensioniert. Vielleicht war er mal auf dem Weg ins KaDeWe auf ‘n Sprung vorbeigekommen.
«Heh – sind Sie eingeschlafen?!»
«Nein…» Brockmüller fuhr hoch. «Nein; ich…» Du bist ja völlig am Ende! «Ich such nur…»
«Na, dann weiterhin viel Spaß!»
Du mußt das Manuskript haben. Du mußt!
Er rieb sich die Schläfen.
Gleich macht es Klick – und dann…
Er stand auf und ging im Zimmer auf und ab.
Zelle 481. Gummizelle?
Nicht zurechnungsfähig?
So ein begabter Mann, und dann dieses Ende! Arme Frau Brockmüller, armer Alexander!
Er öffnete den Schreibtisch, holte aus der unteren Schublade eine Flasche Cognac, setzte sie an und trank in zwei langen Zügen…
Es half.
Das nächste Buch: Hartfiel, Sedatis, Claessens, Beamte und Angestellte in der Verwaltungspyramide: A… Vielleicht: Augsburger Straße – Amrumer Straße – Akazienstraße… I – E – C – N – E.
Nee!
Die neunte Fahrkarte.
Nummer 10. Bodo Brockmüller, Organisation ohne Führung? Frankfurt/Main 1969, 369 Seiten, DM 29,80. Er haßte dieses Buch. Vor drei Monaten etwa hatte er sein letztes Belegexemplar zerrissen und in den Mülleimer geworfen. Ein Kind, das ein König hatte werden sollen und in der Gosse gelandet war: Verrissen von den Kritikern, verhöhnt von den Studenten, von kaum einem gekauft – nichts weiter als Makulatur… Wie viele Stunden, wie viele Nächte hatte er daran gesessen; über 500 Zitate, alles verarbeitet – umsonst. Mit jeder Stunde, die er über dem Manuskript gebrütet hatte, war Annelies Eifersucht gewachsen, hatten sie sich voneinander entfremdet. Organisation ohne Führung?
Der Anfang vom Ende.
Es widerte ihn an, die Seite 16 zu suchen; sein Bleistift fand mühsam die achte Zeile, und mit dem Blick auf die links von ihm liegenden Zahlenkolonnen begann er ganz mechanisch, die von Owi bezeichneten Buchstaben zu unterstreichen.
Und plötzlich gab es einen Sinn, plötzlich war alles Kranke von ihm abgefallen. In fieberhafter Hast überflog er Zeile um Zeile, verzählte sich mehrmals, unterstrich die ermittelten Buchstaben, kämpfte weiter, eroberte sich Wort für Wort:
soll t en uns darüber i m k l aren sein, daß Industriebetriebe nicht errich-/tet werden, um den Menschen Ge lege nheit zu geben, sich se l bst zu verwirk-/lichen, sondern zur Erzielung von Profi t . Der Mensch im Betrieb wird Mit-/tel zum Zweck – zu einem Zweck, den er nicht selber bestimmen k a nn. Und Fü h -/rung i s tfolglich de r V e rsuch der Besitzer der Produktionsmittel, de n /Menschen im Betrieb mit a usgeklügelten psy ch ologischen Methoden / zur Un t erordnung unter die vorgegebenen Normen und Regeln und zur op-/tim a len Leistungsabgabe zu bringen. Halte n wir noch einmal fest, d aßThe o dor W. Adorno, Marx f olgend, diesen Zustand, des w erktätigen Menschen / unserer Zei t als Entfremdung b ezeichnet, so ist die B rück egeschlagen / zu unserer Hauptthese: Führung ist d erVersuch der Herrschenden, di e /arbeitenden Mens ch en i hre E nt fr e mdung ve r gessen zu machen. Dem sollen / später einige k onkrete Beispiele folgen, u nd zwar fürs er ste aus dem / Elektrobereich, weil der Verfasser i n dieser Branche w eitgehende Er-/fahr un gen ha t , g enau e r gesagt: aus einem Werk, d as F e rnsehapparate und / Rundfunkgeräte herstellt. M it der Lage von Sch ichtarbeitern und Arbei-/tern in einem Stahlr o hrwerk werden wir uns spä t er beschä f tig e n. Es wi r d / auch d i e Rede davo n sein, wie der Angestellte i m Büro und das m itt lereMa-
Als er dann die unterstrichenen Buchstaben auf einem DIN-A-4-Blatt aneinanderreihte und zu Worten sortierte, ergab sich mit verblüffender Direktheit das Versteck, das Owi meinte:
Stillgelegte S-Bahnstrecke nach Stahnsdorf.
Zweite Brücke, die hinter dem Kurfürstenweg.
Unter dem Schotter in der Mitte.
Ein guter Ort.
Unten klingelte es.
«Das wird Olscha sein!» rief
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