Ein Toter hat kein Konto
Anstrengung.
Ich tat so, als machte ich mich an den
Umzugskisten zu schaffen. Der Araber ging an mir vorbei, ohne mich besonders zu
beachten, und trat durch das Tor auf die Straße. Ich beschloß, ihm zu folgen.
Hintereinander erreichten wir das Théâtre
Français. Dort warf mein Mann einen Rundblick um sich, so als halte er nach
einem Taxi Ausschau. Da er keins sah, stieg er die Treppe zur Metro hinunter
und nahm die Richtung Porte d’Ivry.
Wir fuhren im selben Waggon, ziemlich weit
auseinander, aber nah genug, damit ich ihn beobachten konnte. Dabei tat ich so,
als läse ich in meiner Zeitung einen völlig schwachsinnigen Artikel über den
verrückten Riton. Auf dem Gesicht des Arabers spiegelte sich eine heftige
Verstimmung wieder.
An der Station Monge stieg er aus, so wie ich es
schon vermutet hatte. Oben an der frischen Luft begab er sich in ein Gewirr von
Gäßchen, in denen sich die Leute einen Dreck um andere scherten. Nach einer
Weile betrat der Algerienfranzose ein Haus, das von außen nichts Besonderes an
sich hatte. Schräg gegenüber befand sich ein Bistro, das mir die Arme seiner
hufeisenförmigen Theke entgegenstreckte. Ich ging hinein, bestellte ein kleines
Bier und richtete mein wachsames Auge auf die Tür, hinter der der Wüstensohn
verschwunden war. Ich erwartete nichts Außergewöhnliches, aber man kann nie
wissen.
Gute zwanzig Minuten saß ich so da. Für nichts
und wieder nichts.
Ich wollte schon aufstehen, als mir bewußt
wurde, daß ich ganz in der Nähe dieses Nachtlokals sein mußte, mit dem man mir
seit heute morgen die Ohren vollgequatscht hatte: dem Club Antinéa,.
Ich erkundigte mich bei dem Kellner, wie ich am
besten zur Rue Geoffroy-Saint-Hilaire käme. So gab ich ihm Gelegenheit, sich
das Trinkgeld redlich zu verdienen. Und er tat es, daß es nur so eine Freude
war.
„Die Rue Geoffroy-Saint-Hilaire?“ wiederholte er
und machte eine so abrupte Bewegung mit der Hand, als wolle er sie über den
Häuserblock gegenüber werfen. „Gleich dahinter. Sie verläuft im spitzen Winkel
zu dieser hier“, fügte er hinzu, wie um zu beweisen, daß er aus gutem Grund
hier im Universitätsviertel arbeitete.
„Kennen Sie das Antinéa, das Nachtlokal?“
„Dem Namen nach. Die Tür dort ist der
Künstlereingang, wenn man das so nennen kann. Der Haupteingang befindet sich in
der Rue Geoffroy-Saint-Hilaire.“
Künstlereingang? Ach ja! Musik, Varieté...
Der Kellner hatte auf die Tür gezeigt, hinter
der mein Araber verschwunden war.
Nach dieser interessanten Feststellung bekam ich
Lust, einen Blick auf die Vorderseite des Cabarets zu werfen.
Die Fassade war — alles andere hätte mich
überrascht — ganz im maurischen Stil gehalten, mit vielen Halbmonden und
Schnörkeln, mit bogenförmigen Fenstern, die meisten davon mit
bauchig-geschwungenen Gittern geschützt, alles grün und weiß gestrichen, außer
der massiven Tür. Die war braun, kupferbeschlagen und mit einem vergitterten
Guckfensterchen versehen. Über dieser Tür bildeten Neonröhren das Wort Antinéa in pseudo-arabischen Schriftzügen.
Nachts, wenn die Röhren leuchteten, mußte das
sehr hübsch anzusehen sein.
Ich nahm mir vor, das nachzuprüfen.
* * *
Hier auf der Straße konnte ich schlecht
stehenbleiben, und die Rue Tournefort befand sich ganz in der Nähe. Das
Vorteilhafte an diesem Fall war, daß man sich nicht mit Taxifahrten in Unkosten
stürzen mußte. Ein freundschaftlicher Besuch bei Roland Flauvigny würde nichts
kosten und nicht schaden.
Das Haus Nr. 22a in der Rue Tournefort sah
unauffällig gutbürgerlich aus. Unter anderem wohnten ein Arzt und eine Hebamme
hier, wenn man den beiden Kupferschildern rechts und links neben der Tür
glauben durfte. Gerade trat ein Paar auf die Straße. Im Hausflur vertraute eine
ehrwürdig aussehende Frau ihren Schlüssel einem Concierge von ungefähr zehn
Jahren an. Der kleine Kerl tat genauso wichtig wie seine Mutter, die einkaufen
gegangen war und die er glänzend vertrat. Er wies mir den Weg zur Wohnung des Studenten,
konnte mir jedoch nicht sagen, ob dieser zu Hause war.
Mit mir zusammen im Aufzug fuhr ein alter Herr
mit Bart und Brille, der das ihm verbliebene Augenlicht nutzte, um die Presse
Médicale zu lesen. Wahrscheinlich ein Kollege des Arztes. Er verließ mich
in der dritten Etage. Ich fuhr zwei Etagen weiter hinauf, mußte noch eine zu
Fuß hochgehen und stand auf einem ziemlich düsteren Flur mit vier Türen. Als
ich mich der Tür näherte, die mich
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