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Ein Toter hat kein Konto

Ein Toter hat kein Konto

Titel: Ein Toter hat kein Konto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Kleines.“
    „Sofort.“
    „Ali haben Sie schon lange nicht mehr gesehn,
was?“
    Jean hatte soeben ein sattes Trinkgeld kassiert
und für einen Augenblick den Schandfleck vor der Tür vergessen, der die Straße
mit den schönsten Frauen von Paris verunzierte. Meine Frage verdüsterte wieder
seinen Blick.
    „Bleiben Sie mir mit Ali weg! Nein, den hab ich
schon lange nicht mehr gesehn. Rund zwei Wochen. Da leiht man ihm mal etwas
Geld, und was ist? Weg ist er! Hab ihm vertraut, und jetzt bin ich der
Gelackmeierte.“
    „Warst du mal bei ihm zu Hause?“
    „Da war keiner. Die Concierge hat ihn seit
vierzehn Tagen nicht mehr gesehn, aber der ist das schnuppe. Seine letzte Miete
hat er bezahlt... wahrscheinlich mit meinem Geld! Darf gar nicht dran denken.“
    „Vielleicht ist ihm ja was passiert?“
    Jean besah sich diese Möglichkeit in seinem Kopf
von allen Seiten.
    „Ich frag mich“, sagte er schließlich, „ob der
noch ganz dicht ist. Heutzutage laufen ja ‘ne Menge Bekloppte rum, angefangen
beim verrückten Riton... Erinnern Sie sich an den Abend, als Ali uns mit
besoffenen Kopf erzählt hat, er hätte seinen Bruder getroffen? Das Gequatsche
hatte weder Hand noch Fuß. Er machte einen ganz merkwürdigen Eindruck.“
    „Ja, ich erinnere mich. Er war stockbesoffen.“
    „Genau! Deswegen, er und sein Koran... Also,
religiös ist er nie gewesen, der Ali... Mir egal. Aber ich kapier das einfach nicht“,
entrüstete sich der Kellner und schüttelte den Kopf. Offenbar dachte er wieder
an sein Geld. „Da kennt man sich seit ewigen Zeiten... Ganz zu schweigen von
der Zeit nach der Befreiung! Sozusagen Arm in Arm haben wir auf der Barrikade
gestanden. Gebildet, reell und alles war er. Einer wie Sie und ich eben! Sie
kennen ihn doch, oder? Stimmt’s oder hab ich recht?“
    Ich pflichtete ihm bei. Soweit ich wußte, hatte
Ali Ben Cheffour keinerlei Rassenkomplex oder sonst eine Macke in der Art.
Vollkommen assimiliert, kaum Umgang mit seinen Religionsbrüdern. Er wohnte in
der Rue Chérubini, in die sich Allahs Söhne höchst selten verirrten. Immer
glattrasiert und tadellos gekleidet, sprach er ein akzentfreies Französisch. Er
arbeitete bei einer Handelsfirma im Viertel Sentier. Das war auch schon so gut
wie alles, was ich über ihn wußte. Ein alter Bekannter, aber ein alter
Bekannter aus dem Bistro eben. Bei solchen Kneipenbekanntschaften bleibt immer
vieles offen...
    „Ja, man konnte Ali vertrauen“, stimmte ich Jean
zu.
    „Und dann haut er einfach mit meinem Geld ab“,
jammerte der Kellner kopfschüttelnd.
    Ich ließ ihn mit seiner schlechten Laune
alleine, um in der Nähe von Alis Wohnung mal zu sehen, ob es was zu sehen gab.
Illusionen machte ich mir keine, aber es kostete ja nichts, sich bei der
Concierge nach dem Verschwundenen zu erkundigen... oder nach Leuten, die ihn
eventuell hatten besuchen wollen. Wo Ali war, wußte ich seit diesem Morgen. Die
Zähne, die ihm noch verblieben waren, würden ihm keine Schmerzen mehr verursachen.
     
    * * *
     
    Das Tor befand sich zwischen der Werkstatt eines
Schusters und den Büros eines Transportunternehmens. Der gewölbte Gang führte
auf einen Innenhof, der mit Umzugskisten vollgestellt war. Die Conciergesloge
lauerte hinter einem Mauervorsprung den Mietern auf. Das Schild an ihrem
Fenster bat die Besucher, sich ein wenig zu gedulden.
    Ich wollte schon den Rückzug antreten, als
jemand aus dem dunklen Treppenhaus auf den Hof trat.
    Es war ein Araber. Schon wieder einer!
    Doch der hier war lebendig. Quicklebendig sogar.
Und Hände hatte er! Mit diesen Flossen konnte er das Mittelmeer überqueren,
wann immer er wollte, ohne sich bei irgendeiner Schiffahrtsgesellschaft um eine
Fahrkarte bemühen zu müssen.
    Um seinen Anzug angemessen zu tragen, hätte es
ein wenig mehr Eleganz erfordert. Der Zwirn stammte von einem erstklassigen
Schneider in Marseille.
    Seine kleinen Füße steckten in gelben Schuhen.
Ein ziemlich grünliches, ziemlich giftiges Gelb. Es sah so aus, als wären zwei
große, noch unreife Bananen unten an seinen Beinen angewachsen. Ein grauer Hut
saß schräg auf seinem Hinterkopf und ließ seine krausen Haare herausschauen.
    Der Kerl kaute auf einer Zigarettenkippe herum,
nahm sie dann nervös in die Hand. Eine Hand, die ich ungern im Gesicht gespürt
hätte, so viele Ringe waren an den Fingern. Die Hand mußte so einiges wiegen.
Jemanden zu begrüßen oder sich am Hinterkopf zu kratzen, bedeutete für den
Besitzer wohl eine übermäßige

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