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Ein Toter hat kein Konto

Ein Toter hat kein Konto

Titel: Ein Toter hat kein Konto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Sessel zu erheben. Er mußte älter sein, als er aussah,
und nun seinerseits der Behandlung durch seine Kollegen bedürfen. Ich bremste
seinen Elan mit einer Handbewegung.
    „Kein Grund zur Eile, Monsieur. Roland ist
sowieso tot. Ich kann einen Toten von jemandem unterscheiden, der zum Autobus
läuft.“
    Ich berichtete, wie ich die Leiche gefunden
hatte.
    „Es handelt sich um einen Unfall, um einen
vorgetäuschten Selbstmord, bei dem aus Spaß Ernst wurde, oder um einen echten
Selbstmord“, dozierte ich, um das Vertrauen des Arztes zu gewinnen und ihn ein
wenig wachzurütteln. Er drohte nämlich, mitten in der Bewegung einzuschlafen,
über seinen Schreibtisch gebeugt.
    „Vielleicht handelt es sich aber auch um ein
Verbrechen“, fügte ich hinzu.
    Das Zauberwort wirkte.
    „Ein Verbrechen?“ rief Péricat.
    „Nach reiflicher Überlegung glaube ich nicht
daran. Monsieur Flauvigny hat mich zu äußerster Diskretion verpflichtet und mir
versichert, daß ein Toter nicht vorgesehen sei. Wir müssen also behutsam
Vorgehen. Ich nehme an, es wird ein verdammter Schock für ihn sein.“
    Georges Péricat ließ sich wieder in seinen Sessel
plumpsen. „Ein furchtbarer Schock“, sagte er mit veränderter Stimme. „Das wird
seinen Zustand verschlimmern, fürchte ich. Aber warum... warum haben Sie mich
vor ihm informiert?“
    Sein unruhiger Blick kam mir plötzlich vertraut
vor.
    „Ich halte es für besser, wenn Sie ihm die
Hiobsbotschaft überbringen“, sagte ich. „Wenn er umkippt und ich alleine mit
ihm bin, kann ich ihm kaum helfen.“
    „Ich... Ich verstehe“, murmelte der Arzt
verständnisvoll. Nachdenklich rieb er sich das Kinn und versuchte dann, seine
Falten auf der Stirn glattzustreichen. Ohne Erfolg. Sie hatten sich schon vor
langer Zeit eingegraben.
    „Ich verstehe“, wiederholte er.
    „Haben Sie ein Auto?“ erkundigte ich mich.
    „Ja.“
    „Wir fahren zu Roland. Sie stellen seinen Tod
fest. Dann fahren wir zu Monsieur Flauvigny. Bestimmt finden Sie die richtigen
Worte
    „Und die Polizei?“
    „Die wollen wir mal schön in Ruhe lassen.
Flauvigny macht eine üble Zeit durch. Wenn die Nachricht vom Tode seines Sohnes
ihn nicht umbringt, soll er selbst entscheiden. Er hat mich unter anderem auch
für meine Diskretion bezahlt.“
    „Sehr gut“, murmelte Péricat nach einer kurzen
Pause, in der er mit sich selbst gerungen hatte. „Sehr gut.“
    Mühsam stand er auf, drehte mir den Rücken zu
und fing an, verschiedene Gegenstände auf dem marmornen Kamin-sims
zurechtzurücken.
    „Ich bin ein alter Freund von Flauvigny. Schon
seit rund zwanzig Jahren. Ich hoffe nicht, daß er mich bitten wird, gegen meine
beruflichen Verpflichtungen zu verstoßen.“
    Er drehte sich um.
    „Entschuldigen Sie mich einen Augenblick“, sagte
er und wies auf seine Hausschuhe.
    Er ging aus dem Zimmer. Ich hörte, wie er durch
den Flur schlurfte und dann mit seiner Haushälterin sprach. Als er zurückkam,
hatte er die Jacke gewechselt, trug einen Hut und Straßenschuhe und hielt ein
kleines Köfferchen in der Hand.
    „Ich bin bereit, Monsieur Burma“, sagte er.
    Sein Atem verriet mir, daß er sich heimlich eine
ordentliche Portion Rum genehmigt hatte.
    Wir gingen hinunter. Ein paar Meter weiter
befand sich seine Garage. Er setzte sich ans Steuer, und ich fuhr den Weg
zurück, den ich soeben in entgegengesetzter Richtung gekommen war.
    „Man braucht uns nicht unbedingt zu bemerken“,
sagte ich, als wir die Place Lucien-Herr erreicht hatten. „Besser, wir steigen
hier aus und gehen den Rest zu Fuß weiter.“
    Er gehorchte wortlos, warf mir nur einen seiner
erstaunten Blicke zu, an die ich mich so langsam zu gewöhnen begann. Bestimmt
war ihm noch nie ein Privatdetektiv so nahe gekommen. Vielleicht rechnete er
damit, daß gleich der Wecker klingeln und man ihm das Frühstück ans Bett
bringen würde.
    In der Rue Tournefort ließen wir uns vom Aufzug
in die fünfte Etage bringen. Um die Concierge und ihren Ableger kümmerten wir
uns nicht, und sie kümmerten sich auch nicht um uns. Oben herrschte die für die
sechste Etage wohl typische Totenstille.
    Ich steckte den Schlüssel ins Schloß, drehte ihn
herum... und sofort wurde es interessant: Die Tür ließ sich nicht ohne weiteres
aufschieben. Jedoch nicht die Zugluft verhindernde Stoffrolle bildete das
Hindernis.
    „Was ist das?“ fragte mein Begleiter besorgt und
mißtrauisch. „Ist von innen abgeschlossen?“
    „Eben bei meinem ersten Besuch war der

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